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12. Januar 2017

Der Verlorene (1951)

Ich habe mir in den vergangenen Wochen einige Filme mit Peter Lorre angeschaut, Casablanca, Arsen und Spitzenhäubchen und 20000 Meilen unter dem Meer, und so bin ich auf dem Umweg über seine Filmographie auf diesen Film gestoßen, mit welchem er die Gelegenheit, welche sich ihm als Sohn Österreich-Ungarns und deutschem Vorkriegsfilmstar nach dem Zweiten Weltkrieg bot, einmal selbst einen Film zu gestalten, nutzte.

Löwensteins Tochter stieg einmal zu einem Serienmörder ins Auto, welcher auch vorhatte, sie zu vergewaltigen und zu töten, aber als er hörte, daß ihr Vater Peter Lorre war, ließ er sie laufen - ich muß annehmen, daß es gegen seine Berufsehre ging, sich zum Werkzeug dieser besonders grausamen geschichtlichen Ironie zu machen.

Lorre spielt wieder, wie in Fritz Langs M, einen Frauenmörder. Eine konservative Wahl, könnte man sagen, und Der Verlorene ist auch für das heutige Gespür ein verstörend konservativer Film, welcher nur funktioniert, wenn man Dr. Rothe nicht als Helden, sondern ganz der Gewohnheit folgend als psychisch labilen Sonderling sieht.

Freilich, auch dann ist der Film kein Vergnügen, sondern vielmehr bedrückend, und es kein Wunder, daß ihn sich kaum jemand ansehen wollte. Ja, man kann sogar sagen, daß Lorres Film seine eigene Unbeliebtheit zum Thema hat, nicht, wie meistens in solchen Fällen, in Gestalt des Genies, welches das Publikum beschimpft, welches sich weigert, es als solches anzuerkennen, sondern als Klage des Alleingelassenen, dem nichts auf der Welt die ihm Enteilten zurücktreibt.

Dr. Rothe, welcher, nachdem er einmal damit angefangen hat, nicht mehr aufhören kann zu morden, als reuigen Sünder darzustellen, welcher Hösch richtet, weil dieser nicht bereut, ist eine selten dämliche und auch anstößige Lesart des Vorgetragenen. Dr. Rothe tötet aus Rache, weil Hösch das Leben etlicher Menschen um ihn herum zerstört hat: Inges Leben, Dr. Rothes Leben, Winklers Leben, nicht aus Bosheit zerstört, ja, die Zerstörung dieser Leben wird noch nicht einmal als unzweifelhaft falsch dargestellt, einzig der Geist, in welchem diese Zerstörung geschieht, wird es: ohne Gefühl dessen, was bewirkt wird, ohne zu wissen, was wofür eingesetzt wird - es ist das Kindische, Unmannhafte, der Mangel an Mut, Überzeugung und Betroffenheit, welchem Dr. Rothes Haß gilt.

Und über Hösch hinaus ist es die Verzweiflung über eine Welt, in welcher alles immer greller sein muß, welche sich nur noch in Grotesken genügt, welche adrenalinsüchtig ist und besoffen von großen Gesten und an sich selbst, an ihrer zwangsläufigen Durchschnittlichkeit nichts Interessantes mehr findet. Eine Welt, natürlich, welche ob ihrer mangelnden emotionalen Verwobenheit mit sich selbst um so leichter am Nasenring zu führen ist.

Nicht, daß Lorre es schaffte, dies alles meisterhaft zu entwickeln, es ist seine einzige Regiearbeit, manches an diesem Film ist etwas ungelenk, Lorres eigene Berühmtheit von zweifelhaftem Nutzen für sein Gelingen, aber er läßt sich sehen. Ich verweise zur weiteren Beschäftigung mit dem hiesigen Thema auf den Beitrag Wandel und Anhang.

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