Bereitschaftsbeitrag

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13. Juli 2017

Gesellschaft ohne gemeinsame Absicht?

Der im vorigen Beitrag betrachtete Unterschied zwischen Interessen- und Systemkonflikten beruht auf der Unterteilung der Institutionen in intentions- und funktionsgebundene.

Während intentionsgebundene Institutionen auf die Erreichung eines Ziels hinarbeiten, welches um seiner selbst willen erstrebenswert ist, arbeiten funktionsgebundene Institutionen auf die Erreichung eines Zieles hin, welches nur durch die Rolle, welche es in einem größeren System spielt, erstrebenswert ist.

Das interessanteste Beispiel für diesen Unterschied liefert wahrscheinlich die Forschung. Im Großen und Ganzen ist die Forschung werkzeugbestimmt, in der Experimentalphysik für jeden Laien ersichtlich, in der Mathematik nur für den Fachmann, wobei die dort so genannten Theorien die Rolle der Werkzeuge einnehmen. Mit anderen Worten gilt recht allgemein, daß die universitäre Forschung der Frage nachgeht, was sich mit den bestehenden Werkzeugen anstellen läßt.

Der Grund hierfür liegt darin, daß die Publikation in Fachzeitschriften für die Evaluation der Forschung von zentraler Bedeutung ist und der Werkzeuggebrauch wie keine andere Strategie Publizierenswertes garantiert.

Weil also die Forschung die Funktion erfüllen muß, Bericht zu erstatten, und zwar auf eine Art und Weise, welche es selbst dem Inkompetenten erlaubt, ihren Erfolg zu beurteilen, was konkret auf das Zählen der Berichte hinausläuft, hat sie sich auf die Methode verlegt, welche am zuverlässigsten Berichte abwirft.

Im Großen und Ganzen. Etwas anders sieht es in der Medizin und in der Waffentechnik aus, wo die Intention, nicht zu sterben und/oder zu zerstören, eine zuverlässigere Evaluation ermöglicht.

Freilich, im Falle der Mathematik kann man nach Gleichungen fragen, welche von nun an lösbar sind und im Falle der Physik nach Kräften, welche gerade entdeckt oder erklärt wurden, doch gibt es ausgesprochen viele zu lösende Gleichungen und in der Physik, der Quantenmechanik sei Dank, ausgesprochen viel zu entdecken, von den unterschiedlichen Möglichkeiten, die aufgespürten Phänomene zu erklären, ganz zu schweigen.

Doch damit genug davon. Die Frage, welche mich hier beschäftigt, hat mit Forschung ja auch gar nichts zu tun, nämlich in wiefern es für eine menschliche Gesellschaft natürlich ist, eine Intention zu verfolgen, anstatt sich schlicht als ein System zu verstehen, welches das Miteinander untergeordneter Intentionen regelt.

Die hier  möglichen drei Fälle hatte ich bereits im Beitrag Eine Klassifizierung von Ordnungsmächten hinsichtlich ihres Verhältnisses zum sie tragenden Geist am Wickel:
  1. Die Regelung ist zugleich Intention der Einzelnen (natürliche Ordnung).
  2.  Die Regelung steht in keinem Wesensverhältnis zu den untergeordneten Intentionen (instrumentelle Ordnung).
  3. Die Regelung sucht die ihr untergeordneten Intentionen ihrem Ideal gemäß zu leiten (zähmende Ordnung).
Im ersten Fall haben wir eine ideologisch homogene, und höchstwahrscheinlich homogenisierte, auf welcher Grundlage die Ordnung erst natürlich wird, Gesellschaft, im dritten Fall eine sich der moralischen Autorität beugende und im zweiten reine Vertragsbeziehungen, wobei die Anerkennung einer moralischen Autorität, wenn auch keine aktualisierte, so doch die grundsätzliche ideologische Homogenität voraussetzt.

Mit anderen Worten sind die natürliche und die zähmende Ordnung Produkte der gesellschaftlichen Sinnstiftung, konkret in Frankreichs und Deutschlands Fall durch die katholische Kirche, welche ihrerseits garantieren, daß der gestiftete Sinn gesellschaftlich vollzogen werden kann. Andere Garantien sind denkbar, aber nicht öffentlich als solche erkennbar, da nicht durch's öffentliche Bekenntnis getragen.

Auch ist das Verhältnis der Regelung zu den ihr untergeordneten Intentionen nicht in jedem Fall so ohne weiteres erkennbar. Die Volksabstimmung beispielsweise mag Ausdruck einer egalitären bürgerlichen Gesinnung sein oder ein reines Instrument, ja, ihr Wesen mag sich sogar unmerklich vom einen zum andern wandeln, und so verhält es sich mit allen Einrichtungen, welche metaideologisch, also nicht durch die Ideologie selbst, sondern durch die Frage des rechten Umgangs mit ihr, begründet sind: So lange die Ideologie anderweitig lebt, sind die metaideologischen Institutionen ihre äußerste Konsequenz, und ist sie sonst tot, so handelt es sich bei ihnen um überkommene Instrumente.

Doch zurück zur vorgesetzten Frage: Wie natürlich ist die sinnhafte Verbundenheit einer Gesellschaft?
  1. Es ist natürlich, daß sich eine Gruppe von Menschen gemeinsam um ihr Fortkommen sorgt.
  2. Es ist natürlich, ein friedensstiftendes Recht zu entwickeln.
Wo der erste Punkt eine Selbstverständlichkeit ist, die Gruppe hinreichend überschaubar und isoliert, da mag die Gesellschaftsordnung instrumentell sein, ohne daß die sinnhafte Verbundenheit der Gruppe Schaden nimmt. Verhält es sich aber so, daß der kooperative Rahmen unklar, weil einigermaßen frei wählbar, ist, so bedürfen die Bewohner derartig fließender Verhältnisse der rechtlichen Versicherung des Friedens, um sinnhaft verbunden zu bleiben.

Jedenfalls erklärt diese Betrachtung die Instrumentalität sowohl der ersten Gesetzeswerke, wie etwa der mosaischen Gesetze, als auch die der Gesellschaftsordnung Englands im Vergleich zu anderen europäischen Nationen: In beiden Fällen sind die Gruppen hinreichend isoliert und überschaubar.

Die heutige Situation nun ist dadurch gekennzeichnet, daß metaideologischen Einrichtungen im Rahmen der Vereinigung von Gruppen die Rolle zugewiesen wird, den Frieden rechtlich zu versichern, was sie indes nicht können, da jeder Friede eine ideologische Substanz besitzt und wesentlich partikulär ist, siehe beispielsweise Nochmals zur Unvereinbarkeit aller Seelenteile in einer Kultur, das heißt, nicht dadurch erreicht wird, Ruhe zu halten, sondern dadurch, das Geliebte zu hegen.

Mit Blick auf die Folgezeit nach dem Westfälischen Frieden besagt dies nichts anderes, als daß es mittelfristig der katholischen Kirche nicht bedurfte, um die Hege der christlichen Ideale zu gewährleisten - ein Umstand, auf welchen sich bei Licht betrachtet überhaupt nichts bauen läßt.

Wir müssen also davon ausgehen, daß der derzeitige gesellschaftliche Umbau eine unreflektierte Hinwendung zum Instrumentellen darstellt, welche die Reinkarnation der ideologischen Substanz erzwingt. Der Gedanke, daß die Vorstellung, daß die ganze Menschheit im selben Boot säße, zu sinnhafter Verbundenheit vergleichbar etwa der der Juden führen würde, übersieht, daß es nur so lange nicht nötig ist, die Grundlagen des Friedens gesellschaftlich zu explizieren, wie sie implizit garantiert sind, und das sind sie durch den Umstand, denselben Planeten zu bewohnen, ebensowenig wie durch den Umstand, demselben System ausgeliefert zu sein.

Wichtiger als Nationen sind Kulturkreise, deren Verästelungen sie nur sind. Doch wer die Zweige angreift, rückt dem Stamm zu Leibe. Wir sehen gerade den Versuch, die Intention aus der staatlichen Ordnung zu verbannen und sie durch das System zu ersetzen und uns folglich seiner arbiträren Dynamik zu unterwerfen, wie es beispielsweise der Großteil der universitären Forschung schon heute, wenn auch nicht ganz klaglos, tut. Ich hoffe, ich habe die damit verbundenen Aussichten hiermit hinreichend verdeutlicht.

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