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6. Dezember 2017

Gier, Obsession, Sucht und Eudaimonie

Ich las mir heute einen älteren Beitrag zur Bedürfniskultur durch, welcher massiv auf meinem ursprünglichen Beitrag zu den menschlichen Gefühlen beruht, welchen ich seinerseits erst im Januar dieses Jahres vollständig korrigiert hatte: Seine Substanz ist gut, aber er ist aufgrund der vorgenommenen Korrekturen im Nachhinein schwer zu lesen, und es scheint mir ratsam, meine gegenwärtige Gliederung der menschlichen Gefühle um einige der Feinheiten zu erweitern, welche ich bereits zuvor herausgearbeitet hatte.

Insbesondere sollte ich im Bezug auf die beurteilenden Gefühle klären, um was es sich bei Gier, Obsession und Sucht handelt.

Die These ist, daß
  • Liebe zu Gier,
  • Wertschätzung zu Obsession und
  • Glück zu Sucht
verkommen kann, wobei Sehnsucht, um dies mit Blick auf den Beitrag zur Bedürfniskultur an dieser Stelle zu klären, eine spezielle Form des Unglücks ist, nämlich sich nicht in die Lage begeben zu können, in welche man sich gerne begäbe, und Wertschätzung und Interesse dasselbe bezeichnen - ja, vielleicht ist Interesse sogar der bessere Begriff, auch wenn das Gegenteil nicht Desinteresse ist, sondern Zuwiderheit (beziehungsweise Aversion, um beim Lateinischen zu bleiben.)

Aber welcher Prozeß liegt hier vor?

Ich sprach im Beitrag zur Bedürfniskultur von Selbstvergessenheit, womit ich eine traumartige Aufhebung des Bewußtseins dessen meinte, was die Zeit uns zu tun gemahnt, also was uns wesentlich ist, beziehungsweise in welche Schicksalsfäden sich unser Leben fügt.

Das geliebte Verhältnis, die geschätzte Möglichkeit und die geglückte Tat verlieren ihren Bezug zu uns, das heißt zu unserem Leben, und werden zu Ersatzhorizonten, das heißt zu Letztbegründungen unseres Trachtens: Wir suchen nicht mehr die Auflösung in der Welt, wie sich das Angelegte zu sich selbst verhält, was wir je erfahren, tun und wollen werden, sondern nur noch einen Modus unserer Existenz - ja, wenn man so will, werden wir seßhaft, nur nicht auf einem Gutshof, sondern auf einer Parkbank.

Als ich noch ein Kind war, empfand ich diese Selbstvergessenheit als eine Dummheit, die Gier dabei, Schmuck in meinen Händen zu halten, oder die Obsession mit einer Rechenaufgabe oder die Sucht nach einem Getränk.

Je älter ich geworden bin, desto bedrohlicher erschien sie mir. Zunehmend erscheint sie wie eine Höhle, welche droht, mich zu verschlingen. Die Angst ist groß, zu träumen und nicht mehr aufzuwachen, obschon sie nicht begründet ist. Es ist, als spürte ich die Gegenwart eines Geistes, welcher aus dem Schlaf seine Kraft bezieht, nicht aus Gier, Obsession oder Sucht, sondern aus Ergebenheit, aus seiner fortgesetzten Beschwörung: ein gewaltiges, selbstverordnetes Verhältnis zwischen allen Dingen, welches eine Brücke zu ihm spannt.

Und doch wach ich ständig wieder auf. Im Schlafe muß es werden, und am Tage wird es. Und mein Ich wird dabei zunehmend seiner Stellung unsicher.

Eudaimonie ist es wohl. Und das and're? Die Herrschaft einzelner Dämonen? Und das Seelenheil eine Frage der Verwebung? Weil im Alter die Schläfrigkeit Überhand nimmt? Die Vorstellung, man könne mit geschlossenen Augen sehen?

Es ist wohl so. Aber warum soll der Absterbende auch nicht mit geschlossenen Augen das sehen, worauf er sich verwendet hat: das Sinnbild seines Trachtens, den Herren, welcher über die Lebenszeiten hinaus ihm seine Aufgabe zugeteilt hat. Meiner ist barsch, ganz selbst mit einer Aufgabe befaßt, massig und hochgewachsen, noch im schlohweißen, langhaarigen und -bärtigen Alter.

Wenn wir das Jenseits verstünden, könnten wir wohl gar unser Sein aus ihm heraus im Diesseits vorbereiten... mag sein, daß dies auch schon geschah: Wenn ich Die Welt als Wille und Vorstellung lese, tritt Schopenhauers Geist vor mich, nur daß dies für zwei (mehr oder weniger) Hamburger keine sonderlich interessante Erfahrung ist, wohingegen das Verständnis des Geistes dessen, der das 12. Kapitel der Offenbarung geschrieben hat, die Tür zu etwas anderem öffnet, was in dieser Form heute noch nicht einmal denkbar ist, nämlich die Verantwortungsübernahme über den Tod hinaus.

Post Scriptum vom 10.12.2017. Um die Ordnung der Gefühle auch in diesem Fall zur Geltung zu bringen:
  • Sucht ist ein dem Hunger verwandtes Pseudobedürfnis der Lust,
  • Obsession ist ein dem Ärger verwandtes Pseudobedürfnis der Achtung, und
  • Gier ist ein der Zufriedenheit verwandtes Pseudobedürfnis der Sorge.
In allen Fällen entspringt der Anschein durch die erwähnte Beschneidung des Horizonts in einem Prozeß der Verrenkung. Daß die Ergebenheit hingegen sowohl zur Aufmerksamkeit, als auch zur Einkehr aufruft, ist zweifellos ein gutes Omen.

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