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3. Dezember 2020

Arten der Glaubensbildung

Der (objektive) Glaube eines Menschen entspringt einem Erkenntnisprozeß, in welchem er sich über seinen (subjektiven) Glauben klar wird. Jede Erkenntnis besteht aber aus einem Begriff und aus Gegenständen, auf welche er sich bezieht, und so gibt es auch zwei Arten, die Glaubensbildung in Menschen zu beeinflussen, nämlich
  1. die Begriffsgebung und
  2. die Konfrontation.
Technisch gesehen bezieht sich unser Glaube als Erwartung auf alle unsere Erfahrungen, von welchen wir eben zum Zwecke ihrer Objektivierung einsehen müssen, daß wir sie tatsächlich erwarten, aber wenn wir gemeinhin von Glauben sprechen, so meinen wir damit unseren transzendenzbezüglichen Glauben, und Begriffsgebung und Konfrontation zielen also auf das Transzendente.

Der Begriffsgeber formalisiert (expliziert) seinen Begriff der Transzendenz und erfäßt gegebenenfalls seine transzendenten Erfahrungen durch ihn, in etwa wie ein Biologe beschreibt, was ein Frosch ist, und irgendein Protokollant auf dieser Grundlage die Frösche in einem Teich zählt. Die begriffliche Erfassung transzendenter Erfahrungen wird auch Weissagung genannt, und wenn das Begriffene das ewig Gültige betrifft, so handelt es sich um Gesetz-, oder auch Schriftgebung.

Ich würde an und für sich erwarten, daß professionelle Glaubensbildner in jedem Falle Begriffsgeber und Weissager sind, ja sogar Gesetz- oder Schriftgeber, wiewohl für gewöhnlich nur in einem auffrischenden Sinne, aber dem ist durchaus nicht so, denn es handelt sich bei ihnen durchweg um Konfrontationsspezialisten.

Jedenfalls bei uns in Europa. Interessanterweise besteht diesbezüglich kein Unterschied zwischen Protestanten und Katholiken.

Bei der Konfrontation ist natürlich ein Unterschied danach zu machen, ob sie aufrichtig oder manipulativ ist. An aufrichtiger Konfrontation ist nichts auszusetzen, ja, sie ist sogar anzuraten, da es der Entwicklung eines Menschen nur förderlich ist, wenn er die Meinungen seiner Mitmenschen kennt. Und wenn ein Glaubensbildner ihm seine aufrichtige Anteilnahme an ihm bekundet, so dürfte es dem Betreffenden Mut machen - jedenfalls wenn beide denselben Gott lieben.

Andererseits hat sich bereits vor langem ein Domptur genannter Konfrontationszweig gebildet und seitdem immer weiter entwickelt, und Zuckerbrot und Peitsche sind durchaus verkehrte Mittel zur Glaubensbildung, denn welche Art Glauben erzeugen sie schon? (Auflösung: Eine Einschätzung des Geschmacks des Dompteurs.) Wirklich verwundern kann es nicht, daß, wenn die Kirche lediglich konfrontiert, ihr andere Konfronteure den Rang ablaufen. Zwar stecken uns allen noch ehemals von unseren Vorfahren durchstandene kirchliche Konfrontationen in den Knochen, aber Leninismus und Maoismus, beispielsweise, zeigen nur zu deutlich, daß Konfrontationsleistungen nicht gerade als große Kunst gelten und auch von Geringqualifizierten zu beachtlichen Höhen geführt werden können.

Vielleicht sollten wir uns vermehrt der Idee des Begriffsgebers öffnen, um der Konfrontiererei zu entkommen. Nur müßten wir es ernst meinen, und nicht bloß zur Unterhaltung.

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