Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

29. Dezember 2020

Zur Antizipation des persönlichen Anteils am Eigenlauf der Welt

Ich bin mir etwas klarer über die entgrenzende Transzendenz geworden. Doch bevor ich mich damit substantiell beschäftigen kann, muß ich zunächst einige Begriffe entwirren.

Ich habe es nie für nötig befunden, einen Unterschied zwischen der Haltung und dem Halten zu machen, also ihrem tätigen Ausdruck. Daraus haben sich einige Ungenauigkeiten ergeben, und einige Fragen haben, weil sie sich nicht stellten, auch nicht ihre verdienten Antworten gefunden. Zwar sprach ich bisweilen von Stellung, um zu bezeichnen, wie wir uns der Welt stellen, aber das verwischte zum (objektiven) Glauben. Da ich diesen Begriff aber bereits eingeführt habe und er denkbar nahe an dem liegt, worum es mir geht, nämlich den tätigen Ausdruck der Orientierung (der Summe des objektiven Glaubens, der Begrifflichkeit und der Haltung), möchte ich letzteren also fortan als Stellung bezeichnen.

Mithilfe der Stellung kann ich nun einen der gröbsten verbleibenden Schnitzer in meinem Begriffsgebäude ausbessern, nämlich die Definition der Sicherheit. Diese geht auf den Beitrag Gegenstände und Projektionen des Vertrauens zurück und beruht auf der so genannten uneigentlichen Erwartung. Unter letzterer verstehe ich zu erwarten, daß eine Regel den tatsächlichen Ablauf beschreibt, beispielsweise daß hinreichend dicke Äste unser Körpergewicht tragen. Und hier macht es nun einen Unterschied, ob wir Haltung oder Stellung betrachten. Eine Regel als verläßlich zu behandeln ist Teil unserer Haltung. Wenn die Regel aber nicht verläßlich ist, so teilt uns das unsere Stimmung mit, welche sich angesichts einer solchermaßen gefährlichen Haltung eintrübt. Folglich beruht unsere uneigentliche Erwartung also auf unserer Stimmung, wie ich vor kurzem bemerkte. Das Gefühl der (Un-)Sicherheit aber, welches wir bei allen unseren Taten empfinden, beurteilt nicht unsere Haltung als solche, sondern unsere Stellung, genauer gesagt ob wir die uns zur Verfügung stehenden Kräfte angemessen einsetzen. Erst wenn wir beginnen, uns über die Angemessenheit ihres Einsatzes Rechenschaft zu geben, begegnen uns unsere uneigentlichen Erwartungen, doch das Gefühl der Sicherheit gibt bereits davon unabhängige Rechenschaft. Angst, wiederum, um dies an dieser Stelle nicht zu übergehen, betrifft nicht den Einsatz unserer Kräfte, sondern deren Bildung, weshalb sie auch wegfällt, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht (der so genannte Mut der Verzweiflung).

An dieser Stelle ließe sich freilich denken, daß sich das Gefühl der Sicherheit aus der die sich tätig ausdrückende Haltung betreffenden Stimmung ergibt, aber dies ist weder entwicklungsgeschichtlich plausibel, noch paßt es metaphysisch, wie wir im folgenden sehen werden. Auch dürfte ich manches Mal den umgekehrten Fall durchgespielt haben, wonach sich die Verläßlichkeit der Regel dadurch ergibt, daß wir uns in ihre Anwendungsfälle hineinversetzen und dann darauf achten, wie sicher wir uns in ihnen fühlen, was nach genügend vielen Fällen unsere Stimmung bildete, aber wiewohl wir uns auf diese Weise wohl hin und wieder vergewissern mögen, ist es doch nicht der Mechanismus, welcher uns stimmt (jedenfalls nicht bewußt, unbewußt mag es sich freilich so verhalten).

Ich behaupte also, daß es drei Quellen der Antizipation gibt:
  • Stimmung (Modus der Wertschätzung),
  • Sicherheit und
  • (eigentliche) Erwartung,
doch müssen wir die Sicherheit noch etwas eingehender betrachten, bevor wir erkennen können, womit wir es bei ihr eigentlich zu tun haben, denn was ist das alltägliche Sicherheitsgefühl schon Großes?

Interessant wird es erst, wenn uns unverhofft bewußt wird, daß wir uns falsch stellen. Zunächst wird uns bewußt, daß wir uns stellen, und dann, wie inadäquat wir es tun. Ich möchte daher auch vom Adäquanzgefühl sprechen, wobei es im Normalfall wie oben beschrieben als die der Adäquanz entspringende Sicherheit empfunden wird, aber wenn es uns unverhofft begegnet, erkennen wir hinter der Unsicherheit die Inadäquanz.

Wie eingangs gesagt deute ich Antizipation als entgrenzende Transzendenz. Der folgende Zusammenhang dürfte unmittelbar einleuchten:
  • die Stimmung antizipiert, was das allgemeine Heil für den Ansatz unserer Suche, oder auch Frage, (Begrifflichkeit und Haltung, beide Haltung im weiteren Sinne) bedeutet, wie sich die netzförmige Zeit in diesem Spannungsfeld verästelt,
  • die Adäquanz antizipiert, was das allgemeine Los für den tätigen Ausdruck unserer Orientierung (unsere Stellung) bedeutet, wie die lineare Zeit in diesem Spannungsfeld auf uns trifft, und
  • die Erwartung antizipiert, was die allgemeine Spannung für unsere Drangsal bedeutet, zu was die punktförmige Zeit in diesem Spannungsfeld wird.
Und da eine Antizipation zur nächsten führt, können wir, die Eigenläufe des Ichs und der Welt voraussetzend, auch sagen, daß 
  • die Stimmung den persönlichen Anteil an der allgemeinen Auslösung antizipiert,
  • die Adäquanz den persönlichen Anteil an der allgemeinen Eingespanntheit und
  • die Erwartung den persönlichen Anteil an der allgemeinen Anknüpfung.
Hinsichtlich der Stimmung und der Erwartung gewinnen wir dadurch nichts neues, aber diese sind ja auch wohlbekannt. Hinsichtlich der Adäquanz hingegen gewinnen wir viel, nämlich daß in dem Gefühl der Adäquanz ein Begriff einer Eingespanntheit liegen muß, welche auf uns wartet.

Und da kann ich nun konkret werden. Ich habe vor zwei Jahren und jetzt wieder ein solches Gefühl verspürt. Damals nannte ich es den Engel mit der scharfen Hippe. Das heutige möchte ich Zaubersand nennen. Beide Male ging es mit dem Gewicht der eigenen Stellung einher: das Gefühl, aufgefordert zu sein, sich zu stellen. Damals war meine Stellung auf meine Belange gerichtet, und ich antizipierte, daß es zu einer Massenbewegung kommen würde, welche keine Rücksicht auf mich nimmt. Und bis vor kurzem ist meine Stellung einfühlend gewesen, und jetzt antizipiere ich, daß es zu umfassender Desillusionierung kommen wird und Einfühlsamkeit nur der Versuchung, und insbesondere jener der Verblendung, die Tür öffnet, daß der Ernst der Lage Nüchternheit erfordert, da sie ansonsten nur noch ernster wird.

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