Bereitschaftsbeitrag

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28. Februar 2022

Regierungsbeziehungen und Bürgerkriegsanfälligkeit

Unter den Regierungsbeziehungen verstehe ich die unterschiedlichen Formen der Beziehung zwischen den Regierenden (den Regierungen) und den Regierten (den Bürgern).

Regieren bedeutet kontrollieren, und es gibt drei Formen der Kontrolle, nämlich des Wahrgenommenen (der Lage), des Gewollten und des Getanen entsprechend den Reaktionsmustern der Beholfenheit, der Bedrängtheit und der Betroffenheit, also die Bürger zu behelfen, ihnen Angebote zu machen oder sie zu belohnen.

Ich hatte die Reaktionsmuster ursprünglich als Rückwärtsbewegungen im Selbstlauf des Ichs definiert, um sie dann später als Vorwärtsbewegungen nur teilweise erfassend (wie es im Film ja auch oftmals scheint, daß sich die Felgen von anfahrenden Autos rückwärts drehen) zu definieren. Hier möchte ich von all dem Abstand nehmen und die Phasen der Reaktionsmuster genauso wie jene der entsprechenden Aktionsmuster definieren, also
  • der Beholfenheit wie jene des Empfangens,
  • der Bedrängtheit (durch Angebote) wie jene des Verfolgens und
  • der Betroffenheit (durch Belohnungen) wie jene des Studierens,
nur daß die erste Phase eben von einem Anderen kontrolliert wird.

Und wo ich gerade dabei bin, schiebe ich gleich folgende Betrachtung nach. Die erste Phase eines Reaktionsmusters wird also kontrolliert, in seiner zweiten Phase wird das Kontrollierte dem Kontrollierten überlassen,
  • die Behelfung seinem Willen,
  • das Angebot seiner Tat und
  • die Belohnung seiner Wahrnehmung,
und in seiner dritten wird das Kontrollierte organisiert,
  • die Behelfung in der Wirkung des Kontrollierten,
  • das Angebot in der Lage des Kontrollierten und
  • die Belohnung in der (konditionierten oder andressierten) Haltung des Kontrollierten.
Es bestehen also folgende Regierungsbeziehungen:
  • Herren behelfen Diener,
  • Direktionen machen Gehorsamen Angebote und
  • Sieger belohnen Duldende.
Hinter diesen Bezeichnungen stehen weitere Sachverhalte, nämlich folgende:
  • Herren und Diener besitzen einen gemeinsamen Willen,
  • Direktionen und Gehorsame sind in einer Lage verbunden und
  • Sieger und Duldende sind sich durch ihre Taten entgegengesetzt.
Da sich Sieger und Duldende durch ihre Taten entgegengesetzt sind, kontrollieren die Sieger eben die Taten der Duldenden durch Belohnung. Genauer gesagt besteht folgende Verknüpfung zwischen Siegern und Duldenden:
  • Die Duldenden werden in ihrem Tun betroffen, und die Sieger entdecken ihren dem konditionierten Willen der Duldenden antwortenden Willen, was in eine neubewertete Belohnung mündet.
Und ähnliche Verknüpfungen bestehen auch in den anderen beiden Fällen, nur daß
  • Herren aufgrund des gemeinsamen Willens den Willen der Diener nicht kontrollieren, sondern ihm das Kontrollierte überlassen, und
  • Direktionen aufgrund der Verbundenheit in einer Lage nicht die Lage der Gehorsamen kontrollieren, sondern das Kontrollierte in ihr organisieren.
Genauer gesagt verhält es sich so:
  • Die Diener werden in ihrer Lage beholfen, und die Herren machen die von den Dienern erwirkte Lage nutzbar, was in neuverbundenen gemeinsamen Willen mündet, im Vertrauen auf welchen die Herren die von ihnen neuverbundene Lage den Dienern überlassen.
  • Die Gehorsamen werden in ihrem Willen bedrängt, und die Direktion lenkt das dabei zu Tage tretende (Arbeits-)Potential, was in eine durch erneuerten Einsatz erwirkte Lage mündet, zu deren Organisation die Angebote für den erneuerten Einsatz der Gehorsamen gestaltet werden.
Die Bürger werden also durch Reaktionsmuster gekennzeichnet und die Regierungen durch zu ihnen passende Handlungsstrategien, wobei es aber aus dem vorstehenden Grunde zum Symmetriebruch kommt:
  • Diener sind beholfen, Herren machen nutzbar,
  • Gehorsame sind bedrängt, Direktionen lenken und
  • Duldende sind betroffen, Sieger entdecken.
Betrachten wir nun die Bürgerkriegsanfälligkeit der verschiedenen Regierungsbeziehungen. Offenbar haben Duldende kaum jemals Grund, sich in den Wettstreit um die Macht einzumischen, und wenn ein Sieger einmal zu besonders argen Belohnungen greifen sollte, so werden sie einigermaßen geschlossen hinter einem aussichtsreichen Herausforderer stehen, denn Belohnungen betreffen Handlungen, und darunter leiden die Duldenden einigermaßen gleichförmig.

Und auch Diener werden sich nicht leicht in Bürgerkriege verwickeln lassen, denn wiederum würde ein besonders unfähiger oder treuloser Herr alle Diener einigermaßen geschlossen gegen sich aufbringen, denn eine schlechte Lage wird einigermaßen übereinstimmend hinsichtlich eines gemeinsamen Willens als solche erkannt. Allerdings kommt es hier zu einem zusätzlichen Phänomen, nämlich daß es Dienern im Gegensatz zu Duldenden nicht egal ist, was ihre Mitbürger wollen: Duldende stören sie zwar nicht (jedenfalls, wenn die den gemeinsamen Willen der Diener ausdrückende Ethik vernünftig ist), aber Gehorsame unter Umständen schon, und auch bei Dienern, welche einer anderen Ethik anhängen, gibt es jedenfalls einen gewissen Klärungsbedarf, wiewohl Diener von Natur aus eine gütliche Einigung mit einander finden sollten, denn das ist ja gerade das Wesen der Ethik, daß sie die richtige Haltung zu allem sucht, was dem Menschen begegnet, und sich dabei auf Erkenntnisse stützt.

Allerdings, was die Gehorsamen angeht, stören sie nicht nur unter Umständen Diener, sondern oftmals auch ihresgleichen, denn nur allzu leicht kommt es dazu, daß die Angebote, welche eine Direktion ihnen macht, insofern sie die Gehorsamen ihrem Willen nach feinselektieren, zu sehr verschiedener Zufriedenheit mit ihr unter den Gehorsamen führt, und absolut nichts ist schlimmer, als wenn Systeme beliebiger Privilegierung mit einander im Wettstreit stehen, wie bei konkurrierenden Administrationen (früher Adelshäusern) der Fall. Im Laufe der Zeit wurden Sieger durch Direktionen ersetzt und Direktionen zu herrschaftlichen Aufgaben verpflichtet. Es ist kein zivilisatorischer Fortschritt, Herren wieder durch Direktionen zu ersetzen, und doch besteht seit der Französischen Revolution die Tendenz dazu und treibt seitdem ihre häßlichen Blüten: einmal treibt die Angst vor dem Bürgerkrieg in den internationalen Krieg (die Sozialdemokratie den preußischen Adel), einmal der internationale Krieg in die Direktion einer Nation und die dortige Verwurzelung des Bürgerkriegs (der preußische Adel das Zarenreich in Trotzkis und Lenins Schule und einmal aus ihr entlassen zu den seitdem rivalisierenden Rechtstiteln und -ansprüchen). Und wir wollen mehr davon? Mehr Direktion? À la Draghi in Italien? Kurzsichtig das ist, ja, ja, sehr kurzsichtig, nicht bedenken du tust, was du da pflanzt.

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