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3. August 2024

Delegationslisten kultureller Herrschaften

Im Wettstreit verschiedener Herrschaftssysteme, genauer gesagt kultureller Herrschaften, besteht immer die Möglichkeit, daß ein System einem anderen anbietet, einen Teil seiner Verantwortung an es zu delegieren, nämlich an eine Erlebniskultur als sein Herr seine Entwicklung zu bestimmen, an eine Repräsentationskultur als sein Prüfer seine Haltung oder an eine Willenskultur als sein Auftraggeber seine Vorhaben, um anschließend in der Rolle Gleichgeführter solidarisch gegen sie aufzubegehren. Es ergeben sich folgende Fälle:

Herr - Diener
  • Erlebniskultur - Repräsentationskultur
    1. Diener abspinstig machen
    2. Herren hintergehen
  • Erlebniskultur - Willenskultur
    1. Herren ködern
    2. Herren auflaufen lassen
Prüfer - Kandidat
  • Repräsentationskultur - Willenskultur
    1. Wissen des Prüfers problematisieren
    2. Prüfer kopieren
  • Repräsentationskultur - Erlebniskultur
    1. Prüfer als Standard bei der Zulassung anerkennen
    2. Kandidaten abspalten
Auftraggeber - Auftragnehmer
  • Willenskultur - Erlebniskultur
    1. Auftragnehmer zur Verfügung stellen
    2. Revolte der Auftragnehmer
  • Willenskultur - Repräsentationskultur
    1. Auftragnehmer preisen sich an*
    2. Auftragnehmer fordern Zuständigkeit ein**
Im Kalten Krieg bestand zwischen 1. und 2. Welt ein Prüfer-Kandidat-Verhältnis, in welchem die 2. die 1. Welt kopierte, und zwischen 1. und 3. Welt ein Prüfer-Kandidat-Verhältnis, in welchem sich die 3. von der 1. abzuspalten suchte, und weder das Kopieren, noch ein etwaiges Abspalten stellte eine Gefahr dar.

Der Grund, warum zwischen 1. und 2. Welt ein Prüfer-Kandidat-Verhältnis bestand, obwohl die Vereinigten Staaten auch zur Zeit des Kalten Krieges eine Erlebniskultur bildeten, besteht zum einen darin, daß der Rest der 1.Welt aus Repräsentationskulturen bestand und es sich die Vereinigten Staaten militärisch nicht leisten konnten, ihn durch kulturelle Überformung zu verprellen, und zum anderen darin, daß die Sowjetunion nicht über die Kraft verfügte, um die 1. Welt in einem Herr-Diener-Verhältnis auflaufen zu lassen.

Heute besteht zwischen der 1. Welt und China selbstverständlich ein Herr-Diener-Verhältnis, in welchem der Fleiß der chinesischen Arbeiter als Köder für die Regierung der Vereinigten Staaten, das heißt den Handel und insbesondere das Bankwesen, fungiert, und zwischen China und dem Rest der Welt, von einer 3. kann man heute nicht mehr sprechen, besteht zunehmend ein Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis, welches einstweilen noch keine aufbegehrenden Züge aufweist.

Ich weiß nicht, zu welchem Grad China den Gegensatz zwischen Regierenden und Regierten der 1. Welt über seine Handelspolitik hinaus befördert hat, aber da er nunmal über sie hinausgewachsen ist, würde ein wirtschaftlicher Rückzug Chinas aus der 1. Welt ihre Regierenden nicht nur auf die Probe stellen, sondern mit ihren Regierten konfrontieren. Was immer aber auch Chinas diesbezügliches Interesse ist, sicher ist der heutige Wettstreit der Regierungssysteme im Gegensatz zu jenem des Kalten Krieges nicht mehr.

* Rimski-Korsakow: Le Coq d'Or, 1. Akt
Rimski-Korsakow: Le Coq d'Or, 2. Akt
** Rimski-Korsakow: Le Coq d'Or, 3. Akt

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