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15. März 2025

Überformungskriterien

Nach dem vorigen Beitrag stellt sich die Frage, wann organisationale Überformungen der Gesellschaft, oder gleichbedeutend damit, wann öffentlich übernommene Selbstfestlegungen wünschenswert sind.

Die Antwort  lautet: Nur wenn sie buchstäblich notwendig sind, das heißt
  • Übercliquung genau dann, wenn die Gesellschaft vertrauenslos,
  • Überschulung genau dann, wenn die Gesellschaft ratlos, und
  • Überstabung genau dann, wenn die Gesellschaft hilflos ist,
mit anderen Worten genau dann, wenn
  • Vertrauenscliquen eine sonst nicht existierende Schicksalsgemeinschaft geloben,
  • Beratungsschulen die Ratlosigkeit der Gesellschaft anerkennen und
  • Hilfsstäbe sich zur Hilfe der Gesellschaft verpflichten.
Ein Beispiel von Vertrauenscliquen sind Gewerkschaften, Beispiele von Beratungsschulen sind die im vorigen Beitrag behandelte Überschulung durch den Verkauf, insbesondere auf der Basis der Stiftung Warentest, und Organisationen, welche das Bewußtsein für Umweltschäden, Menschenrechtsverletzungen, ausbeuterische Wirtschaftspraktiken und dergleichen schärfen, und Beispiele für Hilfsstäbe sind Hilfscorps bei Deichbrüchen und möglicherweise auch die chinesische Einkaufsüberformung in Gestalt des Stabs der Kommunistischen Partei Chinas, welche den Chinesen hilft, sich auf dem Weltmarkt zu behaupten.

Was sich hingegen in des Teufels Küche bildet,
  • besticht und erpreßt, statt Vertrauen zu stiften,
  • fordert Zustimmung, statt zu beraten, und
  • belädt, statt zu helfen.
Abgesehen davon, daß sich organisationale Überformungen nicht auf die Wendung der Nöte der Gesellschaft festlegen, können sie auch dadurch an Wünschenswertheit verlieren, daß sie korrumpiert werden, nämlich
  • Vertrauenscliquen durch den Frieden orientierungsloser Schonung,
  • Beratungsschulung durch die Verbundenheit befangener Formalisierung und
  • Hilfsstäbe durch die Rechtschaffenheit (Dogmen) nötigender Normierung,
konkret
  • Gewerkschaften durch das nationale Interesse, welches sie zu berücksichtigen haben,
  • Beratungsschulen durch Sponsoren: Würde Stiftung Warentest von Bosch gesponsert werden, wäre das genauso schlecht, wie wenn die Berichterstattung über Umweltschäden von der Solarzellenindustrie gesponsert wird, und
  • Hilfscorps durch Gleichberechtigungsgedöns.
Allerdings ist das nicht so zu verstehen, daß Gewerkschaften nie das nationale Interesse berücksichtigen sollten. Vielmehr mag es sein, daß schon die Gründung einer Gewerkschaft ethisch falsch ist, nämlich wenn sich eine Gesellschaft als Schicksalsgemeinschaft versteht. Wenn eine Gesellschaft hingegen zerrissen ist und in ihr keine Rücksicht auf einander genommen wird, sind Gewerkschaften notwendig und dürfen notwendigerweise auch keine Rücksicht auf ein konkret nicht existierendes nationales Interesse nehmen, sondern nur auf absehbar negative Folgen für sie selbst.

Jeder Arzt ist versucht, seine Patienten krank zu machen, um mehr an ihnen zu verdienen, und daß die Lebenserwartung und die Dichte an Arztpraxen antikorreliert sind, beweist, daß dieser Versuchung Rechnung zu tragen ist.

Daß Beratungsschulen aus diesem Grunde die Gesellschaft verdummen könnten, ist hingegen nicht zu erwarten, und auch Hilfsstäbe können die Gesellschaft schwerlich in Not stürzen. Doch bei den Vertrauenscliquen ist es nicht nur möglich, daß sie Mißtrauen schüren, sondern der Normalfall. Deshalb meine kritischen Worte zur Sozialdemokratie. Idealerweise verteidigt eine sozialdemokratische Partei das Vertrauen der Bürger auf einander, indem sie verhindert, daß diese vor rücksichtslosen Machenschaften geschützt werden. Aber selbstverständlich wird ein solcher Schutz um so mehr gewünscht, desto rücksichtsloser es in einer Gesellschaft zugeht. Offen wird eine sozialdemokratische Partei eine darauf aufbauende Strategie natürlich nicht vertreten können, aber indem sie ihr Wirken global versteht, kann sie lokal gegenwärtige Rücksichtslosigkeiten mit global ungegenwärtigen Rücksichtnahmen rechtfertigen, und das geschieht auch.

Also,
  1. gehört das Schüren von Mißtrauen gegenüber Selbständigen zum Gründungsfundus der Sozialdemokratie und
  2. können Sozialdemokraten im 21. Jahrhundert offen lokal Vertrauen zerschlagen, indem sie behaupten, global Vertrauen zu stiften,
und beides tun Sozialdemokraten allzu oft allzu leicht, wiewohl in Skandinavien weniger als in Deutschland und in Deutschland weniger als in den Vereinigten Staaten, woher denn auch meine Mahnung, sich von den Vereinigten Staaten nicht das Wesen der Sozialdemokratie erklären zu lassen.

Eine andere Frage ist natürlich, ob das gegenwärtig allzu verbreitete Verhalten der Sozialdemokraten der Weltrevolution dient. Nun, zunächst beflügelt es nationalsozialistische Parteien im Wortsinn, und wie könnte es anders sein, wenn sich die Sozialdemokratie, unter dem Vorwand, den Menschen anderswo zu helfen, für die Interessen internationaler Konzerne einsetzt, wohl wissend, daß sich Oligarchen seit Platons Zeiten noch nie mehr um das Gemeinwohl als um ihr eigenes gesorgt haben und daß sie diejenigen sind, welchen das Wasser der Unzufriedenen auf die Mühle geleitet wird, jedenfalls so lange sie keine sozialistische Konkurrenz bekommen.

Trotzki hatte seinerzeit gar nicht einmal eine so schlechte Idee, als er die Sowjetunion zum Billiglohnland machen wollte. Das ging damals zwar aus verschiedenen Gründen nicht, und Stalin fuhr ihm zurecht in die Parade, aber China verfolgt Trotzkis Strategie heute mit Erfolg. Der Unterschied zu den westlichen Sozialdemokraten besteht hingegen darin, daß die kommunistische Partei Chinas von den chinesischen Arbeitern für ihre Politik nicht gehaßt wird und im nationalen Interesse Chinas handelt.

Trotzki, also, schwebte bereits eine allmähliche Verlagerung der Produktionskapazitäten vor, welcher Hitler natürlich einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Und indem westliche Sozialdemokraten heute die Oligarchen durchregieren lassen, anstatt das Vertrauen der Bürger auf einander zu schützen, legen sie zwar einen Brand, doch zu was?

Welche Szenarien sind überhaupt möglich? Daß sich eine verantwortliche sozialistische Konkurrenz formiert und die Lage auffängt? Daß eine solche Konkurrenz über's Ziel hinausschießt und die Lage anderweitig destabilisiert? Daß die Oligarchen ihrerseits einen neuen Standard etablieren? Und zuletzt, daß der gegenwärtige Tumult von den sozialistischen Kernnationen benutzt wird, um die Machtverhältnisse zu verschieben.

Letzteres könnte theoretisch in eine Weltrevolution münden, und vorletzteres indirekt theoretisch auch, wiewohl sich der neue Standard natürlich explizit als Antwort auf die sozialistischen Strömungen bildet und also eher von anderer Seite wieder gestürzt werden wird.

Welches Szenario von diesen auch immer eintritt: Keines dürfte von westlichen Sozialdemokraten angestrebt werden, und insofern das Eintreten eines dieser Szenarien als wahrscheinlich gelten kann, handeln sie unverantwortlich.

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