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2. Januar 2010

Über die Alltagsbilder der drei Gesinnungen

Meine bisherige Behandlung der drei Gesinnungen, also der materialistischen, der heroischen und der philosophischen, welche sich so auch schon bei Platon finden, wenngleich dort etwas anders in bezug gesetzt als bei mir, ist im wesentlichen abstrakt gehalten, ohne das Bedürfnis sie zu veranschaulichen, welches ich nun allerdings verspüre, und zwar zu dem Zweck an Wesensgemälde diverser Autoren anzuknüpfen, und sie auf diese Weise auf ihren wahren Kern zurückzuführen.

Beginnen wir mit der materialistischen Gesinnung. Die Verhaltensweise eines materialistisch gesinnten Menschen zeichnet sich dadurch aus, daß er zuvörderst darauf achtet, in welchem Verhältnis er zu seiner Umwelt, meistens natürlich anderen Menschen, da ja kaum einer heutzutage isoliert lebt, steht und seine Gedanken sich fast ausschließlich darum drehen, wie er in Verhältnisse eintreten kann, in welchen er gerne stehen würde und wie er es zu Stande bringt, auch weiterhin in Verhältnissen zu stehen, welche ihm gerade gefallen. Dabei legt er großen Wert auf Erscheinung und besitzt ein großes Talent zu raschen Entschlüssen und Handlungen, allerdings zu Lasten seiner Fähigkeit langfristig zu planen, welches bei ihm darauf hinausläuft, so lange wie möglich an geschätzten Verhältnissen festzuhalten.

Die Denkweise eines materialistisch Gesinnten ist eher auf Verstand als auf Vernunft gebaut (gemäß Schopenhauers Terminologie), er besitzt oftmals ein großes Interesse an für ihn außergewöhnlichen Phänomenen und ist gut darin, viele Details solcher Phänomene auf einen Schlag festzuhalten und sie vorläufig zu ordnen. Seine Begrifflichkeit ist allerdings zumeist kurz, geht also meistens auf unmittelbare Zusammenhänge, und er hat auch kein ihm innewohnendes Interesse an der Ästhetik von Begriffsgebäuden, sondern ist dem Nutzen als leitendem Architekturprinzip verpflichtet. Schönheit liegt für ihn in der Anschauung und im Haben, nicht dahinter.

Das Spektrum materialistisch Gesinnter reicht von sehr primitiven Naturen bis hin zum Idealtypus des abgeklärten, überlegenen Verkörperers menschlicher Güte und Größe.

Nun zur heroischen Gesinnung. Die Verhaltensweise eines heroisch gesinnten Menschen zeichnet sich dadurch aus, daß er zuvörderst darauf achtet, Ehrbegriffen, welche er besitzt, zu entsprechen. Dabei ist er in der Lage eine gigantische Anzahl von Regeln und Konsequenzen zu beachten und fällt entsprechend durch seine Umsicht auf, ebenso wie auch durch seine lange Entwicklungszeit, da er sich in der Regel ein umfangreiches Programm vorgibt. Leider ist diese Fähigkeit zur Befolgung umfangreicher Regeln zumeist mit einer erschreckenden Unfähigkeit, ihren Sinn zu bewerten, verbunden.

Die Denkweise eines heroisch Gesinnten ist hochgradig ästhetisch zu nennen, er folgt in seiner begrifflichen Arbeit einem diffusen Gefühl für Ordnung und Schönheit und benutzt fast ausschließlich seine Vernunft und nicht seinen Verstand. Entsprechend ist sein ganzes Urteilen nichts anderes als ein Abspulen von Definitionen und entsprechend anfällig ist er für neurolinguistische Programmierung. Schönheit ist für ihn letztlich ein gemeinsam gelebter Wahn.

Wenn heroisch Gesinnte in relativer Einsamkeit leben, entwickeln sie zumeist eine unnatürliche Sammelwut und den Wunsch sich durch ihre gesammelten Habseligkeiten mitzuteilen. Letztlich geht die gesamte russische Gartenkultur darauf zurück; in England ist es auch nicht anders, nur weniger einleuchtend, wobei der Fehler darin liegt zu denken, daß man in einer Stadt nicht einsam sein könnte. Ich hätte also auch Briefmarkensammler anführen können.

Und schließlich zur philosophischen Gesinnung. Die Verhaltensweise eines philosophisch gesinnten Menschen zeichnet sich dadurch aus, daß er zuvörderst darum bemüht ist, den Widerspruch der eigenen Existenz aufzulösen. Dabei ähnelt er in seiner begrifflichen Arbeit dem heroisch Gesinnten, welche Ähnlichkeit er wohl manches Mal zu leugnen geneigt ist, unterscheidet sich aber von jenem darin, daß er ein wiederkehrendes Bedürfnis zur begrifflichen Reduktion verspürt, also das eigene Begriffsgebäude abzureißen, um es geläutert wiederauferstehen zu lassen. Die größte Schwäche des philosophisch Gesinnten besteht in eben dieser Unfähigkeit auszuharren, darin, daß er unfähig ist, in der Zeit zu existieren und er ganz eigentlich am liebsten in einem einzigen Augenblick zusammenflösse.

Die Denkweise eines philosophisch Gesinnten ist wesentlich reflektiv und zu einem großen Teil unbewußt, in sofern die Wiederauferstehung der vormaligen Einsichten außerhalb jedes Bewußtsseins liegt. Letztlich aber erreicht sie einen Grad, an welchem sie beginnt sich zu genügen und versteift sich dann zusehends, dabei zugleich subjektiv an Relevanz verlierend, wie eine letzte abgeworfene Haut.

Schopenhauer spekulierte auf einen Zusammenhang zwischen Breitköpfigkeit und materialistischer Gesinnung, im Gegensatz zu Langköpfigkeit und heroischer Gesinnung. Der mag bestehen und paßt auch gut zu dem, was ich bezüglich der Evolution des Menschen geschrieben habe, also dazu, daß die heroische Gesinnung aus Südostasien schließlich während des Neolithikums in Europa eintraf. Es ist jenseits allen Zweifels klar, daß die materialistische Gesinnung älter als die heroische ist, und daß die heroische Gesinnung in Reinform eine immense Gefahr für eine Gemeinschaft darstellt, während die materialistische Gesinnung wie gesagt lediglich indirekt über Machtkämpfe und langfristige Inflexibilität das Wohl einer Gemeinschaft gefährdet.

Daß hingegen die philosophische Gesinnung die älteste ist, ist doch eine sehr gewagte These, welche allenfalls durch die Betrachtung der mit ihr assoziierten Form der Religiösität gestützt werden kann, denn jene ist in der Tat die älteste, nur mag es so sein, daß die materialistisch Gesinnten sich anfangs in religiösen Fragen zurückgehalten haben, sie also unbestimmt ließen. Und dies ist auch am wahrscheinlichsten, also daß es eine Protogesinnung gab, welche in praktischen Belangen materialistisch zu nennen wäre, allerdings ohne vollständig entwickelte eigene Ästhetik und Selbstbild, denn aus dieser Offenheit heraus entspringt von ganz alleine die Wahrheit. Wahrscheinlich handelt es sich bei den philosophisch Gesinnten schlicht um Fälle der Wiedererlangung jener Offenheit, bedingt vielleicht durch eine Unentschlossenheit der materialistischen und heroischen Anteile. Und so wie man den Taoismus als Bändigung einer übermäßig heroischen Bevölkerung verstehen kann, handelt es sich bei den semitischen Hochreligionen um Zügelungen übermäßig materialistisch gesinnter Bevölkerungen, was sich insbesondere am Bildverbot festmachen läßt, wobei im Falle des Christentums mehr die Kirche als die Schrift davon betroffen ist, welche philosophisch zu nennen ist.

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