Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

3. Oktober 2010

Der Weg zur Knechtschaft von Friedrich A. Hayek

Es ist durchaus interessant, dieses Buch einmal zu lesen. Ich bin zwar nicht der Meinung, daß die Kenntnis des Diskussionsstandes in dieser Angelegenheit einen Vorteil für die geistige Auseinandersetzung mit den politischen Herausforderungen der Gegenwart darstellt, wie es übrigens fast ausnahmslos mit populären Diskussionen der Fall ist, welche leider fast ausnahmslos gerade dadurch populär werden, daß sie es einem erlauben weiterzudiskutieren, anstatt klare und umfassende Gedanken zu vermitteln, welche zur Tat streben, aber wenn auch nicht umfassend, so ist der Text doch klar und vermittelt eine Begrifflichkeit, mit deren Hilfe sich die politische Entwicklung der letzten 100 Jahre ordnen läßt, was immerhin den Vorteil hat, politisch motivierte Verdrehungen von Fakten leichter als solche zu erkennen.

Ärgerlich ist hingegen Hayeks Hasenfüßigkeit, wenn es darum geht, auch nur irgendeinen Gegenstand einmal gründlich durchzudenken, da müssen entweder Statistiken herhalten oder er bricht den Gedanken gar mit dem Hinweis auf Vorstellbarkeit ab, so bei der Frage, ob sich eine Demokratie mittelfristig gegen die Freiheit wenden könne. Wenn sie nur homogen und indoktriniert genug ist, kann Hayek sich das vorstellen. Offenbar weil er gedankenfaul genug ist, nicht in seiner Vorstellung mit einzubeziehen, daß diese Wendung gegen die eigene Freiheit zwangsläufig Homogenität und Indoktrination aus der Welt schaffen wird.

Wesentlicher für Hayeks Argumentation ist natürlich das Marx'sche Postulat von der Konzentration des Kapitals. Widerlegen tut er es nicht, er ist nur nicht überzeugt. Es wäre interessant zu wissen, ob er heute überzeugt wäre. Ich vermute allerdings nicht, denn in dieser Frage begeht er einen methodischen Fehler, sozusagen die Abweichung vom Paradies dem Teufel in die Schuhe zu schieben. Daß wirtschaftliche Macht sich ab einem bestimmten Punkt in politische Macht übersetzt und also ab diesem Punkt Oligopole, welche sich zuvor im freien Spiel der Kräfte begannen herauszukristallisieren, einen kräftigen Wachstumsschub an Marktmacht dadurch erfahren, daß die Politik beginnt, sie nach Kräften legislativ zu unterstützen, nimmt Hayek als Beweis dafür, daß es eben nicht der Markt ist, welcher zu Oligopolen führt, sondern die Politik. Das ist eines von jenen Argumenten, welche man nicht widerlegen kann, wenn man nicht gerade allwissend ist, so wie Hitlers Argument, drei vagabundierende Arier hätten den Chinesen ihre Zivilisation gebracht.

Auf meinen Gedanken der systemischen Arbeitsmarktschieflage durch Effizienzsteigerung und Sättigung der Konsumbedürfnisse geht er nicht ein. Er war zu seiner Zeit wohl noch nicht formuliert worden und ihm selbst, so viel kann man zwischen den Zeilen herauslesen, wäre er aus verschiedenen Gründen nicht gekommen. Zum einen hält er sowohl die menschliche Natur als auch die menschlichen Bedürfnisse für unüberschaubar vielfältig, was, möchte ich sagen, in dieser Form durchaus auch stimmt. Allerdings manifestieren sich zu einer bestimmten Zeit der Weltgeschichte weder die gesamte menschliche Natur, noch die gesamten menschlichen Bedürfnisse, und das Supremat des Marktes formt sich einen bestimmten Typus Mensch, dessen Natur und Bedürfnisse innerhalb recht klar gesteckter Grenzen bleiben, einen Bereich, welchen Arthur Schopenhauer übrigens bereits zuvor hinreichend klar ausgeleuchtet hatte, als er von den drei Gütern des Konsums schrieb, von dem Lebensnotwendigen, von dem den Sinnen Gefälligen und von den Statusgütern.

Dessen eingedenk bin ich geneigt Hayek auszulachen, wenn er Lord Acton's „höchste Ziele der bürgerlichen Gesellschaft“ zitiert, im Klartext nichts anderes als Kartoffeln, Seide und der sexuelle Zugriff auf Kinder, ohne dafür belangt zu werden, wie man's exemplarisch an Roman Polanski gesehen hat, welchem wir für diese Offenlegung sogar dankbar sein müssen.

Zum anderen ist Hayek selbst noch durch die Monarchien in Deutschland und Österreich geprägt und assoziiert daher mit gewissen Umgangsformen, Kleidungsweisen und Beschäftigungen gewisse Ideale und einen gewissen Geist, welcher weit über den konsumierenden Menschen hinausweist, was ihn also blendet und einer nüchternen Erkenntnis des Wertes des Konsums, welche dem störrischen Schopenhauer spielerisch gelang, beraubt.

Dies muß man also gegen Hayek sagen, und es ist hiermit geschehen. Ganz mit mir im Einklang äußert sich Hayek hingegen, wenn er unterstreicht, daß die beste Ordnung jene ist, in welcher Menschen einander nur dann von ihrer Freiheit zum Zwecke der Organisiertheit opfern, wenn es alle Beteiligten wollen und daß es vernünftigerweise viele solcher kooperativer Ebenen geben sollte, welche natürlicherweise, je spezifischer sie werden, an Umfang abnehmen.

Übrigens tut man Hayek sehr Unrecht damit, ihn mit Ayn Rand zu vergleichen. Weder hat er etwas gegen Mindestlöhne, noch etwas gegen Arbeitslosengeld, noch etwas gegen das staatliche Energiewesen oder den staatlichen Straßenbau, wobei 1944 offenbar die ganze Welt Hitler für seine Autobahnen bewundert hat, so daß er sich in diesem Punkt genötigt sieht abzuwiegeln (Brauchen die Deutschen doch eigentlich gar nicht. Wo sind denn die Autos, die darauf fahren sollen?) Er wendet sich ausschließlich gegen solche staatliche Maßnahmen, welche darauf abzielen, den Wettbewerb dort, wo er funktionieren kann, zu bekämpfen, also dortige Subventionen in allen ihren Formen. Ja, wenn man es genau nimmt, so sagt er noch nicht einmal etwas gegen die Planwirtschaft heute, da wir Computer und Datennetze haben und somit sehr wohl die Möglichkeit zur zentralen Planung der Wirtschaft in Echtzeit. Überhaupt argumentiert er auf eine Art und Weise, nämlich ergebnisorientiert und offen gegenüber den verschiedensten Lösungsansätzen, wie es heute niemand mehr tut. Wenn Hayek sagt, daß es schändlich sei, etwas, das einem guten Zweck dient und bewerkstelligbar ist, nicht anzugehen, so redet er ganz offensichtlich von einer anderen Zeit. Damals konnte man dies noch gesellschaftlich einfordern, jedenfalls in Deutschland und Europa, nicht immer mit der klarsten Erkenntnis der zu erwartenden Schwierigkeiten, aber immerhin, heute hingegen sind an die Stelle der Edelkeit Paranoia und Eigennutz getreten. Hier zeigt es sich eben, daß ein neues (selbstverständlich älteres) Menschsein die Bühne der Welt betreten hat.

Natürlich ist es lustig, daß Hayek stärker für die soziale Marktwirtschaft eintritt als die heutige SPD in ihrer Konzernverbundenheit, letztere sich aber als deren Verteidigerin gerade gegenüber Anhängern Hayeks brüstet, welche zumeist nicht mehr als seinen Namen kennen. Aus Hayeks Perspektive ist das Verhalten der SPD hingegen nur konsequent, das Vorstadium der Planwirtschaft, wobei Hayek, wenn er ehrlich wäre, wohl zugeben müßte, daß nicht alles auf Planwirtschaft, sondern alles auf die Oligarchie der Reichsten hinausläuft, welche er nur deshalb als Vorstadium der Planwirtschaft bezeichnet, weil er nicht glaubt, daß eine solche Mischlösung aus Planwirtschaft und Marktwirtschaft, welche weder die Vorteile des Wettbewerbs noch die eines abgestimmten Planes besitzt, bleibend sein könnte. Was er übersieht ist wie gesagt, daß die Bürger einer solchen Gesellschaft keine Hayeks mehr sind, ja noch nicht einmal mehr Hitlerjungen, sondern paranoide Egoisten, welche zu systemischer Gestaltung unfähig sind.

Wie immer kann man sich die Wahrheit dieser Behauptung nirgends besser verdeutlichen als in den Vereinigten Staaten, welche die Welt auf der von ihnen entworfenen Bahn anführen. Hayek wäre wahrscheinlich schockiert, wenn er sähe, wie es mit der menschlichen Reife jener bestellt ist, welche heute seinen Namen für ihre Sache benutzen. Aber das scheint in der Natur der Dinge zu liegen, kaum jemals machen seine Anhänger einem Autor Ehre, Schopenhauer ist da noch die glänzenste Ausnahme.

Nun gut, ich möchte meine Besprechung, welche sich auf die ersten fünf Kapitel stützt hiermit beschließen. Alleine die ersten Sätze des sechsten erwecken mir nicht unbedingt Lust, den Text weiterzulesen, da Hayeks prophetische Fähigkeiten nur mäßig sind und er sich zunehmend in eine Schicksalsgabelung hineinsteigert, welche uns heute nicht begegnet, derart, daß zwar all die Mißstände da sind, welche er beschreibt, aber zugleich auch all die Heilmittel, welche er zu deren Behebung vorschlägt, und wir weder in der von ihm beschriebenen Art unter diesen Mißständen leiden, noch eine realistische Hoffnung auf die Verbesserung unserer Verhältnisse durch jene Heilmittel besitzen.

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