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12. September 2021

Politische Perspektiven

Politische Gespräche drehen sich um die Lage, aber wie nehmen wir die Lage wahr?

Die beiden Dimensionen, welche ich in diesem Beitrag betrachten möchte, sind zum einen unsere unternehmerische Verbundenheit und zum anderen die Stelle, welche wir in der Gesellschaft einnehmen. Alle hier betrachteten Perspektiven sind mir aus eigener Erfahrung bekannt und werden auch entsprechend dargestellt werden. Der Anlaß zu diesem Beitrag war die Frage, unter welchen Umständen ich an politischer Positionierung interessiert wäre, ausgehend von der lakonischen Betrachtung, daß, wenn ich meinen Mitmenschen vertraute, ich ihnen die politische Gestaltung unbesorgt überließe, und wenn ich ihnen nicht vertraute, ich sie nicht mit ihnen zusammen versuchte.

Eine Gruppe von Menschen, welcher es um gemeinsames Gelingen geht, heiße Mannschaft. Geht es ihr um gemeinsames Voranschreiten, so heiße sie Truppe. Und wenn es ihr darum geht, einem Ziel nachzukommen, so heiße sie Bruderschaft. Einer Mannschaft anzugehören ist erstens der Normalfall und zweitens auf den Augenblick beschränkt und ändert die politische Perspektive also nicht. Bei einer Truppe, der Name paßt in vielen, aber nicht in allen Fällen, besteht hingegen eine persönliche Verbundenheit, welche sich als Verflochtenheit der Lage äußert. Und bei einer Bruderschaft besteht eine ideelle Verbundenheit, welche dazu führt, daß die Lage von Delegation bestimmt wird.

Delegation ist die freie Einrichtung der Verhältnisse nach der geteilten Rechtschaffenheit, Verflochtenheit bedeutet zusammenzuhalten.

Und was die zweite Dimension angeht: Jede Gesellschaft kommt aus der Welt und besteht in ihr. Ein Teil der Welt wird ihr abgetrotzt und zu einer Gesellschaft geformt. Und entsprechend gibt es drei Stellen in einer Gesellschaft:
  • ihr Boden, mit welchem sie auf der Welt steht,
  • ihr Inneres und
  • ihr Rand, mit welchem sie an die unerschlossene Welt grenzt.
Und also erscheint die Lage in den Augen
  • der Garanten, welche die Gesetze einsetzen, als errungen,
  • der Bürger, welche den Ansprüchen genügen, als beaufsichtigt und
  • der Künstler, Wissenschaftler und Bastler, welche kreativ tätig sind, als randständig.
  • Dem Emeriten, welcher außerhalb der Gesellschaft in der Welt lebt, erscheint sie hingegen als unerschöpflich.
Beginnen wir mit der Unerschöpflichkeit. Wenn die ganze Welt Wildnis wäre, gliche sie dem Ozean: ein Ort wäre so gut wie der andere, und die Zeit schwemmte einen unerschöpflichen Vorrat an Formen und Begebenheiten heran. Niemand würde auch nur versuchen, die Lage zu erfassen, und die Gespräche beschränkten sich auf das Persönliche und Bildende. [Und aus der Wildnis heraus erscheinte die Zivilisation wohl tatsächlich als tote Welt, wie es in John Boorman's Smaragdwald heißt.]

Beaufsichtigt erscheint die Lage selbstverständlich in erster Linie jenen, welche einen Weg in die Gesellschaft hinein suchen, also der Jugend, Schülern. Und von dort geht es auf natürliche Weise zu den Hippies weiter, auch wenn ich zuletzt mit sechs Jahren welche sah: Es wäre zu viel von einer Bruderschaft zu sprechen, auch wenn Teile, ja, ich denke an Supertramp, den Nukleus eines Rechtschaffenheitsbegriffs besaßen, aber sie bildeten viele Truppen, welche ihre jugendlichen Leben teilten und in einigen wenigen Fällen auch später als Künstler in Randständigkeit zusammenhielten.

Das ist natürlich schon jedem Sechsjährigen klar, daß er nur als Künstler oder Wissenschaftler die Chance hat, nicht an der Langweiligkeit des Lebens zu ersticken - und daß es als Künstler schwieriger ist. Mit entsprechendem Mitleid betrachtete ich die örtlichen Hippies.

Meine in diesem Blog von Anfang an verfolgten gesellschaftlichen Vorstellungen laufen nicht zuletzt, und ich möchte sagen: in gut schwedischem Geiste, darauf hinaus, das Gewicht des Bastelns zu vergrößern - und sei es an der eigenen Lebensweise.

Aber daneben geht es mir auch darum, Bruderschaft auf der Grundlage geteilter hinreichend komplexer, aber noch allgemein verständlicher Rechtschaffenheit zu ermöglichen, damit das stets leicht peinliche und betrübliche Zusammenhalten durch die Heiterkeit und Strahlendheit der Delegation ersetzt werden könnte.

Ich weiß, was Errungenheit bedeutet, auch wenn ich keine Verbündeten habe. In vielerlei Hinsicht ist mein Denken recht militärisch, aber die Angst, die eigene Macht zu verlieren, kenne ich selbstverständlich nicht.

Um also zu der Eingangsfrage zurückzukehren: Ich positionierte mich schon, aber nur, wenn die Gesetze, welche den Boden der Gesellschaft bilden oder bilden sollen, rechtschaffen genug für die Zeit sind. Und was die letztere Variante angeht: Ein neuer Boden bildet sich nicht einfach so aus der natürlichen Dynamik der Gesellschaft heraus, sondern muß bewußt als solcher ergriffen werden, wiewohl die Umstände, welche dies begünstigen, sich auf natürliche Weise bilden. Die gegenwärtige Krise begünstigt die Bildung freilich, und sie hat wohl keinen natürlichen Ursprung, aber nichts kann die Aufschwingung der Herzen derer ersetzen, welche dem Frevel den Rücken kehren.

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