Bereitschaftsbeitrag

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26. November 2010

Über den Gebrauch des Vorstellungsvermögens

Wenig widert mich mehr an als Menschen, deren Ideale sich schlicht aus dem speisen, womit sie gefüttert wurden, welche einzig etwas sehen und sich denken, daß sie es auch wollen, ohne auch nur ein einziges Mal versucht zu haben, ein zusammenpassendes Ganzes zu entwickeln.

Nun bezeichnete ich den Entwurf als eine wesenhaft männliche Leistung, aber wenn Frauen sich da auch sehr zurückhalten, so haben sie doch Erwartungen und neigen von sich aus nicht mehr zu obigem Verhalten als Männer, wobei der Unterschied zwischen Entwurf und Erwartung darin besteht, daß der Entwurf den Weg und die Erwartung nur das Ziel vorgibt. Übrigens muß man in der Regel die möglichen Wege kennen, um zu verstehen, daß Ziele sich ausschließen - aber das ist ein anderes Thema.

Frauen sind es also nicht, welche sich jenes zu Schulden kommen lassen, sind es dann vielleicht die heroisch Gesinnten?

Nun, unmöglich kann es ein philosophisch Gesinnter sein, ein materialistisch Gesinnter könnte es hingegen auch sein. Und nicht alle heroisch Gesinnten sind so, wie man an den Plänen ihrer Größten sieht.

Diese Lahmheit hat also ihre Ursache in etwas anderem, etwas, das ich bisher nicht betrachtet habe. Freilich hat der heroisch Gesinnte schon eine charakteristische Tendenz zu ihr, da er sich ja an den Maßstäben seiner Mitmenschen orientieren muß und eine gewisse Stumpfheit in der Sache förderlich ist, diese zu akzeptieren. Aber das macht eben den Größeren aus, daß er nicht durch das gegebene Einzelne, sondern durch die allgemeinen Prinzipien dahinter bestimmt wird, welche er erst auskleidet.

Einem philosophisch Gesinnten kann nichts einzeln gegeben werden, deshalb erübrigt sich die Sache für ihn. Nur, was heißt das eigentlich, sich an allgemeinen Prinzipien zu orientieren?

Oder umgekehrt gefragt, was heißt es, es nicht zu können?

Letztere sind buchstäblich geistlos oder, noch deutlicher ausgedrückt, sie gleichen, soweit es ihren Antrieb betrifft, Tieren. Wohl haben sie Vernunft, aber ihr Wille assoziiert nicht vernunftgemäß, denn das ist es, was Begeisterung ausmacht, daß der Geist nicht ruht, sondern von einem Gut zum nächsten übergeht, daß er ohne bewußte Anstrengung die Abgeschlossenheit der Beziehungen anstrebt.

Natürlich ist niemand fortwährend begeistert, im Alltag zeigt sich dieses Streben nach Abgeschlossenheit denn auch mehr als ein stets erneutes Aufleben, welches freilich, je mehr es zum Dienst gezwungen wird, mit der Zeit auch erlahmt. Aber wahrlich schlimm sind jene, welche schon lahm auf die Welt gekommen sind!

Während Gesinnungen und Horizonte ihre Berechtigung haben, zur gesunden Vielfältigkeit der menschlichen Existenz gehören, so ist dieses halbe Herabsinken zum Tier eine Krankheit, welche, in dem Maße, wie sie sich ausbreitet, den Menschen verzehrt, der Art, daß dereinst nur noch menschliche Hüllen die Welt bevölkerten.

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