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15. April 2024

Der ständig wiederkehrende Christus

Ich habe vor etlichen Jahren einen Kulturwissenschaftler im Fernsehen die Behauptung aufstellen sehen, daß die Christenheit zu allen Zeiten ein dreigliedriges Geschichtsverständnis besessen habe, welches aus einer idealen Vorzeit, einem dunklen Mittelalter und einer erleuchteten Neuzeit bestünde, also insbesondere auch in der von uns als dunkles Mittelalter bezeichneten Zeit, in welcher dann eben die postattilanischen Wirren das dunkle Mittelalter ausmachten, und selbst in der frühesten Christenheit ließen sich etwa die dem ersten Bischof von Jerusalem, Nikolaus, nachgesagten Ausschweifungen anführen, welche mittlerweile überwunden worden wären.

Die Verbindung dieser Vorstellung zur Offenbarung ist nicht sonderlich eng, aber Kapitel 22 suggeriert eine allzeit christlich erleuchtete Gegenwart, welche dieses Geschichtsverständnis nach sich ziehen mag oder auch nicht, abhängig davon, ob man sich die Erleuchtung nur im Gegensatz zur Dunkelheit vorstellen kann oder auch für sich genommen.

In jedem Fall ist es aber zutreffend, Kapitel 22 als kulturelle Rückenstärkung der Christenheit zu bezeichnen, und einmal auf den Gedanken gebracht, die Bibel zu diesem Zweck zu benutzen, kann es letztlich auch nur begrenzt verwundern, daß selbst die Wiederkehr Christi zu diesem Zweck benutzt wird, dergestalt die Christenheit stets in der Endzeit lebt, weil dasjenige, was in der Endzeit als besonders wichtig hervorgehoben wird, zu allen Zeiten besonders wichtig ist.

Nun, ich sagte schon, daß die diesbezüglichen Erklärungen unserer Geistlichen und Kulturwissenschaftler keinen Sinn ergeben, wenn man die Offenbarung liest, da den entsetzten Märtyrern dort nur noch mehr Leidenszeiten versprochen werden, damit ihre Zahl voll werde, was alles andere als eine Vertröstung auf die baldige Wiederkehr Christi ist. Indes, auch wenn es lange dauert, schließlich wird den Heiligen die erste Auferstehung der Toten in Aussicht gestellt, doch müssen sie dazu eben nicht in der Endzeit leben.

Warum verbreiten unsere Geistlichen und Kulturwissenschaftler also, daß die Christenheit anfänglich die Offenbarung brauchte, weil diese ihnen, im Bewußtsein in der Endzeit zu leben, Trost spendete?

Ich müßte zu viel spekulieren, um diese Frage zu beantworten, aber sie führt auf etwas Kurioses, nämlich daß vor kurzem zwei Filme in den Kinos liefen, welche spezifische Vorstellungen der Wiederkehr Christi aufgreifen, um ein Verhalten zu motivieren, welches den Anforderungen der sich ausliefernden Phase des generativen Zykels des Zeitalters der Werke einmal in einer Repräsentations- und das andere Mal in einer Erlebniskultur entspricht. Natürlich stimmen diese spezifischen Vorstellungen nicht mit der Offenbarung überein, aber mit Versatzstücken unterfüttert sind sie schon.

Der erste Film ist Elysium aus dem Jahr 2013, eine politische Parabel, in welcher der Staat mit allen seinen Einrichtungen und ihrer Technologie jederzeit allen Menschen zu Gute kommen kann, wenn nur die richtigen Gesetze erlassen werden. Die Vorstellung der Wiederkehr Christi ist hier hauptsächlich der Bergpredigt entlehnt, davon ausgehend, daß Christus seine Vorhersagen einlösen wird, wenn Er wiederkehrt. Diese Vorhersagen decken sich im Großen und Ganzen mit jenen Jesajas, und laufen wie seine zunehmend Gefahr, von jedem Hanswurst eingelöst werden zu können, und auch in Elysium braucht es lediglich eine glückliche Verkettung von Umständen und Matt Damon's Opfer, um sie wahr zu machen - und letzteres auch nur, weil da ein Umstand einmal unglücklich war. Mit anderen Worten wird die Wiederkehr Christi in dieser Auffassung zu einem zunehmend geringfügigerem Ereignis. Indes, wer damit rechnet, daß der Gerechte bald wiederkehrt, würde sicher gerne auf seine eigenen Verdienste hinweisen, also was er unternommen hat, um ihm die Mittel in die Hand zu geben, um die Menschen glücklich zu machen, und das ist die Rolle der sich im Rahmen des generativen Zykels Ausliefernden, welche in einer Repräsentationskultur leben.

Jetzt können Sie zurecht einwenden, daß ich die Wiederkehr Christi da mehr oder weniger gewaltsam mit hineingezogen habe, aber natürlich steht Elysium für das Reich Gottes, für das Reich des Messias, und es stimmt auch, daß die Geistlichen, welche Repräsentationskulturen dienen, gerade dieses geringfügige Verständnis von der Wiederkehr Christi haben, auf welche sie genauso gut auch verzichten könnten, weil sie meinen, ihren Weg zu kennen, und daß er zu allen Zeiten derselbe sei.

Der zweite Film ist Interstellar aus dem Jahre 2014. Auch dieser Film ist eine politische Parabel, welche die Wichtigkeit von Pionierarbeit unterstreicht, also auf den richtigen Zug aufzuspringen, um zu Gelegenheiten zu gelangen, welche für die weitere Entwicklung der Menschheit von entscheidender Bedeutung sind, und das ist die Rolle der sich Ausliefernden im Rahmen des generativen Zykels, welche in einer Erlebniskultur leben. Den Bezug zur Offenbarung stellt hier das Wurmloch her, welches der uramerikanischen Vorstellung der Rapture Ausdruck verleiht. Indem also die Amerikaner zu allen Zeiten so leben, daß Christus sie in seinen 144000 aufnähme (Ja, so leben sie nicht, aber es genügt die Überzeugung, auf dem Sprung sein zu müssen), befeuern sie den generativen Zykel ihrer Erlebniskultur.

Während der Vorwurf an die frühe Christenheit, der Endzeitvorstellung zu bedürfen, um als Christen zu überleben, sich also wenigstens nicht auf den Text der Offenbarung stützen kann, ist es heute wenigstens so, daß Geistliche Zerrbilder der Endzeit verbreiten, welche der Befeuerung des generativen Zykels in seiner jeweiligen Ausprägung in ihrer Kultur dienen, oder, wie der Volksmund sagt: Was ich selber denk' und tu', das trau' ich auch den Andern zu.

Was abschließend noch bleibt, ist die Frage, wie man das eigene Leben wohl lebte, wenn man die Offenbarung nicht verzerrte und dennoch zu allen Zeiten meinte, in der Endzeit zu leben. Nun, das ist unmöglich, aber wir müssen den Gedanken nicht aufgeben, sondern lediglich die Forderung dahingehend aufweichen, die Offenbarung möglichst wenig zu verzerren. Dann lebte man nämlich wie anfänglich in einem weiteren Film, dem Imaginarium des Doktor Parnassus von Terry Gilliam, die Mönche in ihrer Höhle oder, ansatzweise, die Amischen heutzutage, stets den Verstrickungen des Stadtlebens und den Ambitionen der Macht ausweichend und die Flamme des Glaubens bewahrend und die Welt in ihrem Licht sehend und daraus das Gute der Zeit schöpfend, welches zu ihrem, der Zeit, Gesetz wird. Sie sagen es zwar nicht, aber vielleicht tun die Mönche auf Athos ja auch genau das.

Das Kuriose daran ist, daß es diese, völlig gleichbleibende Lebensweise, welche selber zu nichts von dem beiträgt, was im Rahmen des Buches mit den sieben Siegeln durchlaufen wird, ist, welche diesem Buch Gültigkeit verleiht. Was geht es dich an, so ich will, daß er bleibe, bis ich komme?

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