Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

22. Februar 2021

Vom Gefangensein in den Nebenordnungen

Der Beitrag Vom Gefangensein in den Verhältnissen mußte als Aufriß eines mich beschäftigenden Gedankens schemenhaft bleiben. Nun aber kann ich ihm auf angemessene Weise Substanz verleihen.

Beginnen möchte ich mit der Schilderung eines jahreszeitlich bedingten Gefühls der Wüstheit. Alle Jahre wieder irgendwann im März, weiter nördlich Anfang April, gestern bei uns sogar schon im Februar, kracht die Sonne brutal auf den noch winterverschlafenen Acker und man fühlt förmlich, wie er austrocknet. Die Zeit kommt, ihn zu pflügen, und eine Ahnung der flirrenden Sommerhitze steigt auf. Hat man, wie ich, nichts mit seiner Bewirtschaftung zu tun, geht dieses Gefühl nahtlos in ein Gefühl der totalen Vergeblichkeit über, einer vor einem liegenden ausgedörrten Wüste. Und wenn man etwas mit seiner Bewirtschaftung zu tun hat, fühlt man sich alsbald wie Alexandre Gartempe, cultivateur, an ihn gefesselt und vom Gefühl, seine Zeit zu vergeuden, umweht.

Diese und ähnliche Empfindungen gilt es in diesem Beitrag zu verstehen. Der Mensch sucht sein Potential zu entfalten,
  • sein menschliches, sein Potential schlechthin,
  • sein soziales, seine Rolle, und
  • sein spirituelles, seine Beachtung.
Diese Begriffe sind inklusiv, nicht disjunkt zu verstehen: Das Potential beinhaltet die Rolle und die Rolle beinhaltet die Beachtung. Offensichtlich drückt sich die Entfaltung des Potentials in den Kernordnungen aus,
  • des Potentials in der Ermächtigung,
  • der Rolle in der Anhaltung und
  • der Beachtung im Glauben,
und so gerät sie in Konflikt mit den Nebenordnungen,
  • das Potential mit der Maschinerie,
  • die Rolle mit dem Arrangement und
  • die Beachtung mit den überkommenen Urteilen,
und wir versuchen
  • eine neue Wirklichkeit (neue Wirkungsweisen) zu finden oder
  • dem Arrangement, beziehungsweise
  • den überkommenen Urteilen zu entkommen,
wobei wir für
  • die Ordnung durch unsere Seele,
  • die Verwandlung durch das Heil und
  • die Übertragung unseres Sinnes
beten, wobei im letzteren Fall neue Erfahrungen zu neuen Urteilen führen und mittelbar zu unserer Beachtung.

In jedem dieser Konflikte liegt entweder eine Hemmung der Natur oder ihre Hinderung vor, was ihre Grundgestimmtheit differenziert,
  • die Entfremdung des Potentials,
  • die Zeitvergeudung in der Rolle und
  • die Hoffnungsaufgabe mangels Beachtung.
Hierbei kommt es zu einem spirituell äußerst bedeutsamen Symmetriebruch, welcher wahrscheinlich für die Entstehung des Hinduismus verantwortlich ist. Es ist nämlich so, daß
  • die Hemmung der Beachtung neben fürsorglicher Liebe (Frommheit) auftritt,
  • ihre Hinderung aber neben bitterem Haß (Ausgeschlossenheit),
  • die Hemmung der Rolle neben leuchtender Liebe (Vorbildlichkeit),
  • ihre Hinderung aber neben kochendem Haß (Aufgezwungenheit), doch
  • die Hemmung des Potentials neben kaltem Haß (Verkrüppelung) und
  • seine Hinderung neben beharrlicher Liebe (Ausgesperrtheit).
Wer also nicht hassen will, und dies mag durchaus der Grundgedanke des Hinduismus' und Buddhismus' sein, kann sich schlicht von allem lösen, wodurch er Anteil an der Welt hat und was stets der Fährnis ausgesetzt ist, mag die Entfaltung der eigenen Beachtung und Rolle doch stets gehindert werden und die des eigenen Potentials stets gehemmt, und sich als machtlos der Welt entfremdet betrachten und durch das Aufschließen Atmans mit Brahman eine neue Wirklichkeit entdecken (auch wenn Schopenhauer darüber die Nase gerümpft hätte, ich tue es nicht, denn darin liegt die größte faktische Macht zum Guten: the walking dead - oder, wie Schopenhauer sie genannt hätte, im Genie, aber da geht doch viel verloren.)

Frommheit, Ausgeschlossenheit, Vorbildlichkeit, Aufgezwungenheit, Ausgesperrtheit und Verkrüppelung gehen übrigens auch mit den nicht trivialen Übergängen der Herrschaftsformen des I Ching's einher,
was alles nichts über die Gerechtfertigtheit der Rebellionen aussagt.

Dieses Einhergehen ist weiterhin darum bemerkenswert, weil es den natürlichen Übergängen der Zeitalter widerspricht, also jenen der ihnen entsprechenden Hochkulturen. Ich sagte schon, daß eine solche Übertragung der Zykel der Herrschaftsformen der Hochkulturen auf die Zeitalter nicht allgemein zulässig ist, aber ausschließen kann man es ja nicht, daß gerade jene dem Zeitalter entsprechende Hochkulturen erblühen, deren charaktermäßige Bevölkerungszusammensetzung die namensgebende ist (indogermanisch: Gestimmte &.Fordernde > 80%, semitisch: Gestimmte & Erregte > 80%, tibeto-japanisch: Fordernde & Erregte > 80%) - jedenfalls ist im Zeitalter der Werke nicht nur die indogermanische Kultur als die ihm entsprechende Kultur erblüht, sondern zugleich sind es auch die Indogermanen als Träger derselben.

Mit anderen Worten begegnen am Ende des Zeitalters
  • der Wacht die tibeto-japanische Dienerrebellion und die indogermanische Ritterrebellion (historisch auch am Römischen Reich mit dem Aufkommen des Christentums nachzuweisen), obwohl die ihm entsprechende Hochkultur die semitische ist,
  • der Werke die semitische Jüngerrebellion und die tibeto-japanische Kritikerrebellion, obwohl die ihm entsprechende Hochkultur die indogermanische ist und
  • der Wunder die indogermanische Fortschrittsrebellion und die semitische Prinzenrebellion, obwohl die ihm entsprechende Hochkultur die tibeto-japanische ist.
Andererseits sollten sich am Ende eines Zeitalters aber auch merkwürdige Dinge abspielen, und die Ansätze zur Jünger- und Kritikerrebellion heute sind real:
  • die Jüngerrebellion speist sich aus all jenen, welche ihre Lebensumstände durch die Lehren ihrer Lehrer gefährdet sehen, und
  • die Kritikerrebellion aus jenen, welche die geachteten Autoritäten als Hinderungsgrund neuer Lebensumstände ansehen.
In beiden Fällen ist aber nicht die Pharisäerherrschaft das Resultat der Rebellion: Im ersten, haßerfüllten, ist es die Tyrannei des Tiers, und im zweiten, liebevollen, ist es die durch Jesus Christus erneuerte Herrschaft der Sorge. Ganz neu ist dieses Zusammentreffen auch nicht, in der Gestalt Hitlers ist schon viel vorweggenommen: Wagner als Prophet und Versailles und Weltwirtschaftskrise als Mobilisierer. Heute mobilisiert Soros, indem er den Propheten gibt, und die Wahrheit sucht ihre Gefolgschaft in der Stille.

Labels: , , , , , , , , , , ,