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16. Oktober 2021

Zum kulturellen Stillstand am Ende unseres Zeitalters

In einem Punkt hat The Matrix Recht: am Ende unseres Zeitalters steht der kulturelle Stillstand (Kultur hier im gewöhnlichen, nicht im technischen Sinne). Aber warum ist das so?

Wie ich in den Beiträgen Verlockung und Lebensart und Kunst: Zwischen Expressionismus und Impressionismus ausführte, wechselt die Geschwindigkeit unseres Fortschritts im generativen Zykel. In schnellen Zeiten sieht die Masse den Leistungen Einzelner mehr oder weniger passiv zu, während sie in langsamen Zeiten selber aktiv wird. Steigt die Geschwindigkeit plötzlich an, so versucht sie sich darüber hinwegzutrösten, daß sie abgehängt wird, und kommt die Geschwindigkeit ins Stocken, so besinnt sie sich auf ihre eigenen Wünsche, wobei die Geschwindigkeit entlang den Wünschen der Masse zu messen ist, und nicht nach Patentanmeldungen oder dergleichen mehr.

Natürlicherweise schließt sich an die Besinnung auf die eigenen Wünsche die eigene Aktivität an, was in der Kunst zu Expressionismus führt. Beim letzten Geschwindigkeitswechsel ist aber nur Deklarismus herausgekommen, weil es uns heute an geteilter Lebenserfahrung mangelt. Und wie Deklarismus der schöpferische Funke in der Kunst fehlt, so fehlt er auch den übrigen Aktivitäten der Masse. Also nochmal, warum ist das so?

Die letzte Besinnungsphase auf die eigenen Wünsche, in der Kunst von mir Humanismus genannt, entspricht zugleich der letzten Verfolgungsphase des popkulturellen Zykels, und konkret ging es ihr um die Frage, wie das Leben zu gestalten wäre. Das waren die '70er Jahre. Und in den '80er Jahren kam es zur letzten vom heiligen Geist in Form des Zeitgeistes zur Harmonisierung unseres individuellen Wirkens inspirierten Weiterentwicklung unserer Technologie, nämlich der Informationstechnologie zum Zwecke unserer intellektuellen Verbundenheit.

Erst vor kurzem erwähnte ich, daß die Auseinandersetzung mit der Frage, wie das Leben zu gestalten wäre, das Zeitalter der Wunder vorbereitet, und bereits vor vielen Jahren, daß die Informationstechnologie die Ausbreitung neuer gesellschaftlicher Vorstellungen begünstigt. Aber wenn wir uns einmal zurücknehmen und nur danach fragen, von welcher Art Lebensgestaltung und intellektuelle Verbundenheit sind, so lautet die Antwort doch, daß sie das Ganze betreffen und den Geist und also aus der persönlichen Phase des Glaubenszykels heraus die dogmatische vorbereiten.

Nur, was in den '70ern an Formen des Erfahrungsaustauschs und ab den '80ern an Technologie zu eben diesem Zweck gewonnen wurde, läßt sich allgemein anwenden und nicht nur zum Zwecke der Einleitung der dogmatischen Phase des Glaubenszykels, oder, um es deutlicher zu sagen: Es ist den Werkzeugen egal, wer sie zur Verbeitung seiner Vorstellungen benutzt. Und also ist es nicht nur nicht verwunderlich, sondern gesetzmäßig zu erwarten, daß die vorherrschenden Mächte unserer Zeit sie für ihre Zwecke einsetzen, wobei ihre Zwecke wiederum aus der ihnen innewohnenden Dynamik heraus ableitbar sind, das heißt Staats- und Handelsinteressen. Und weil sie es tun, also weil sie uns mit ihnen genehmen Vorstellungen füttern, und zwar eifersüchtig, erlischt in zu Vielen das Interesse daran, ihre eigenen Erfahrungen auszutauschen.

Und also gibt es heute eine große Masse an Menschen, welche meinen, daß die Welt, wie sie jetzt ist, so ist, wie sie sein sollte, deren Begriff des Guten diesseitig ist, und welche göttliche Inspiration zur Anleitung unseres kulturellen Fortschritts nicht aus persönlicher Erfahrung kennen, weil sie nie ihre Notwendigkeit spürten. Sie sind verdorben, das Unrecht aber tun die Verderber.

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