Die drei Temperamente, Sanguiniker, Choleriker und Melancholiker, oder in meinen Worten materielle, heroische (engagierte) oder philosophische (reflektierte) Gesinnung, beruhen nicht allein auf unterschiedlichen Hinwendungen zur Welt, sondern damit zugleich auch auf unterschiedlichen Hinwendungen zum eigenen Wesen, denn unterschiedliche Teile seiner dienen unterschiedlichen Zwecken.
Ich beschrieb das philosophische Geschäft vormals als Entwicklung der eigenen Begriffe, was ja auch zweifellos stimmt, und doch stellt sich mir die Sache nun merklich anders dar: Im Mittelpunkt steht nicht die Verwirrung oder das Fremdsein in den Begriffen anderer, sondern die eigene Abhängigkeit davon, für sich einen Weg zu finden, auf welchem man die Ideale, an welche man glaubt, verfolgen und entwickeln kann, und man stiftet so nicht bloß für sich Klarheit, sondern eine auf ihnen beruhende Welt.
Daraus erklärt es sich auch, daß der Melancholiker mit der Angst vor Depression und Vergessenheit aufwächst, also davor, diesen Weg nicht zu finden oder ihn zu mißachten, worin wiederum ein Beleg für die Richtigkeit dieser Auffassung liegt, daß das philosophische Geschäft keineswegs ein rein theoretisches ist.
Dieser Frage nachspürend wird man auf unseren begrifflichen Rahmen geführt, in welchem wir stets damit beschäftigt sind, die Welt zusammenzuflicken, und zu diesem Teil wenden wir uns hin, wenn wir das begriffliche Geschäft wählen, nur daß wir dadurch bereits eine ganze Weise zu leben gewählt haben, nämlich jene, welche sich aus den Erfordernissen der logischen Erstreckung ergibt, also zu klären und zu beherzigen.
Ebenso besteht das heroische Geschäft wie zuvor beschrieben in der Maximierung der eigenen Disziplin. Doch auch hier gibt es wiederum eine innere Welt, in welcher sich diese Bestrebung vollzieht: Disziplin ist lediglich ein Spezialfall der begrifflichen Setzung, der Annahme von Annahmen, von welchen wir uns, einmal für sie gewonnen, prägen lassen, nämlich die Setzung, daß der Ausführung des in Frage stehenden Geschäfts, welcher die Disziplin gilt, die höchste Wichtigkeit zukommt. Und so lebt der heroische Mensch im Ganzen; er fragt, welche Annahmen ihn weiterbringen und nimmt sie an.
Freilich läßt sich Vieles annehmen, und wann immer das Angenommene zu einer abschlägigen ethischen Bewertung der realen Verhältnisse führt, erzeugt es Wut, so daß der heroisch Gesinnte mit einer steten unterschwelligen im Potentiellen schweifenden Raserei lebt.
Die innere Welt der materiellen Gesinnung schließlich besteht aus unserer Erwartung, also nur das zu tun, von welchem wir Erfolg und persönliche Angelegenheit erwarten: Das Leben des Sanguinikers ist bloße Bekundung, seiner Zuversicht und seiner Anmaßung.
Indes, gerade letzteres beweist, daß die unterschiedlichen Temperamente parallel existieren, denn jeder horcht auf seine Erwartung, wenn er im Begriff ist, etwas Entscheidendes zu tun. Ich möchte bei den diesbezüglichen Wesensteilen von
Gewahrung,
Ehrgeiz (nur über Ehre auf der Grundlage von Setzung kann persönlich verfügt werden) und
Erwartung sprechen und sie als
Weltenlieferanten der drei Seelenteile zusammenfassen, also Gewahrung als Weltlieferant der Sorge, Ehrgeiz als Weltlieferant der Achtung und Erwartung als Weltlieferant der Lust.
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