Indem sich Gesellschaften weiterentwickeln, gerät die Konvention zwangsläufig in ein Spannungsverhältnis zum grundlegenden Ideal.
Dieses Spannungsverhältnis wird als Albdruck empfunden, und sollte es zum Zerreißen der Konvention führen, so wird dieses von den einen zwar als befreiend, von den anderen aber als verstörend empfunden, wobei die Vertreter des Ideals von einem militanten Geist erfüllt werden und die Vertreter der Konvention von einem schwelgerischen.
In Platons Abfolge der Herrschaftsformen,
- Aristokratie,
- Timokratie,
- Oligarchie,
- Demokratie,
- Tyrannei,
fällt
- mit der Aristokratie die Rücksicht,
- mit der Timokratie die Achtung,
- mit der Oligarchie die Anerkennung und
- mit der Demokratie die Unantastbarkeit.
Gleichzeitig wird eine Gesellschaft durch
- Recht,
- Befreundung und
- Versorgung
begründet, so daß also mögliche Spannungen zwischen
- konventionalem und idealem Recht,
- konventionaler und idealer Befreundung und
- konventionaler und idealer Versorgung
bestehen, vergleiche auch die
sieben Geister Gottes.
Der Fall der Unantastbarkeit entspricht der Auflösung des Rechts und der Fall der Anerkennung der Auflösung der Versorgung. Ersteres gilt per Definition, letzteres beruht hingegen auf einer notwendigen Bedingung: Erst wenn sich die Versorgung auflöst, fällt die Anerkennung, verlieren die Oligarchen das Recht auf ihren Besitz. Ebenso löst sich die Befreundung stückweise mit dem Fall der Rücksicht und der Achtung auf; dies wiederum per Definition.
In wiefern Timokratie und Oligarchie Befreundung wiederherstellen, die Demokratie die Versorgung oder die Tyrannei das Recht, ist hier zweitrangig - offensichtlich tun sie es in verminderter Form - wichtig für das Verständnis der gegenwärtigen Situation ist einzig, welche Entwicklung welcher Herrschaftsform welche Spannung in sich birgt.
Wir leben ja in einem
Akkord aus Oligarchie und Demokratie, und also stehen wir einerseits in einer Spannung
- zwischen konventionaler und idealer Versorgung und andererseits
- zwischen konventionalem und idealem Recht,
und dem entsprechend haben sich auch zwei militante Bewegungen gebildet, angeführt von
Zu Bernie Sanders möchte ich nicht viel sagen, da seine Bewegung nicht die Gegenwart bestimmt. Wenn wir uns fragen, welcher Albdruck und welche aufziehende Verstörung die Gegenwart bestimmen, so lautet die Antwort: der rechtliche Albdruck und die rechtliche Verstörung, und am deutlichsten wird das, wenn wir uns fragen, welche Ausblicke sich mit der nächsten Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten verbinden, nämlich
- für den Fall, daß Trump gewinnt, Verstörung über die Mittel, zu welchen seine Gegner gegriffen haben, oder
- für den Fall, daß er verliert, die Fortsetzung des Albdrucks unter falscher Flagge durch seine Unterstützer,
nicht aber
- für den Fall, daß er verliert, die Verstörung über die neue wirtschaftliche Ordnung, oder
- für den Fall, daß er gewinnt, die Fortsetzung des gegenwärtigen wirtschaftlichen Albdrucks.
An dieser Stelle muß ich ein wenig zu Q's Strategie des
WWG1WGA (
Where we go one, we go all.) sagen, welche durch die Phasen
- Hetzjagd auf Trump,
- Totschweigen derselben und
- Anwendung von Gewalt gegen seine Unterstützer
gekennzeichnet wird. Q behauptet, daß diese so lange verfolgt werden wird, bis sich die Bevölkerung der Vereinigten Staaten auf natürliche Weise zusammenschließt, um sich gegen die korrupten Organisationen des Leviathans zur Wehr zu setzen.
Das ist nicht realistisch, denn die Pharmaindustrie, beispielsweise, könnte jahrelang Massenexperimente mit unberechenbaren Impfstoffen anstellen, bevor sich irgendjemand zur Wehr setzen würde, denn schließlich würde es Jahre dauern, bis sich deren Folgen nicht mehr verheimlichen ließen. Würden wir etwa tatsächlich alle mit HIV infiziert, so wüßten wir das auch erst nach zehn Jahren.
Nein, realistischerweise bedeutet
WWG1WGA nichts anderes, als daß die militanten Rechtserneuerer warten müssen bis ihnen die Bevölkerung nicht mehr in den Rücken fällt, und der einzige Weg dahin besteht darin, sie an den bestehenden rechtlichen Konventionen leiden zu lassen, indem sie jede Feindseligkeit Trump gegenüber teilt, jede Ungerechtigkeit gegen ihn mitempfindet.
Das ist natürlich in gewisser Weise verwunderlich, schließlich ist das Ausmisten von Augiasställen ja nichts Anstößiges, aber schon Herakles vermochte es ja nur, indem er zwei Flüsse zu diesem Zweck umleitete, und daran, daß sich institutionelle Korruption nur durch öffentliche Empörung gegen sie beseitigen läßt, hat sich wahrscheinlich seit seiner Zeit nichts geändert.
Konkret schützt den Leviathan heute die Vorstellung, daß ein militanter Behenoth wie Hitler wäre. Faschismus haben wir schon, aber keinen militanten, sondern einen konventionalen. Und militanter Faschismus erscheint bedrohlich. Es nützt nichts, das abzustreiten, denn militanter Faschismus kommt in der Tat auf uns zu. Die einzige Frage, welche in diesem Zusammenhang zu einer gewissen Beruhigung führt, ist die nach dem Ziel der Militanz. Hat jemand, der die Welt sowieso schon regiert, ein Interesse daran, sie zu unterwerfen? Doch nur, in sofern er sie eben nicht regiert, und also kann er sich doch nur gegen korrupte Statthalter und dergleichen wenden.
Und wenn ihm dabei kein Widerstand begegnete, so wäre das ganze auch nichts weiter als ein chirurgischer Eingriff. Da es aber Widerstand gibt, wird es zu einer häßlichen Angelegenheit werden.
Die heutige Friedensforschung betrachtet Werte, welche Recht zugrundeliegen, als Störfaktor. Frieden wird vom Ende her gedacht, also vom reibungslosen Zusammenleben. Das Recht des Stärkeren ist das eigentlich ideale, nur daß sich wertbedingte Empörung dagegen erhebt, welche die Kooperation stört. Und also ermittelt die Forschung, wie sich diese Störungen bei minimaler Verletzung der systemischen Effizienz beheben lassen.
Ich sprach schon zuvor davon, daß der Mensch sich angesichts seiner Überflügelung durch die Maschine zunehmend darauf verlegt, selbst möglichst maschinenhaft zu werden, und sich reibungslos in die Dynamik des darwinistisch gedachten Kreislaufs des Lebens zu fügen ist ein Beispiel dessen.
Nur sind halt nicht alle so verblendet, und jene, welchen gegenwärtig ist, was sie vom Leben erwarten, haben Macht genug, diesen Zukunftsszenarien den Todesstoß zu versetzen. Die Frage stellt sich also nicht, wie sich eine mögliche Zukunft zu einem solchen Gespinst verhält, sondern wie sie sich zu anderen möglichen Zukünften verhält.
Und welche Wahl haben wir dann? Entweder die Erneuerung des Rechts in einer Verbindung aus Oligarchie und Tyrannei oder die Erneuerung der Versorgung in reiner Demokratie. Letzteres hört sich zunächst einmal besser an, doch hat es nicht die Kraft, sich gegen das anschließende Absinken in reine Tyrannei zu wehren, wohingegen ersteres die fortgesetzte Spannung in der Versorgung dazu benutzen kann, tyrannische Elemente in den timokratischen Rang zu katapultieren, während die Oligarchie zur Demokratie absinkt, und anschließend die Spannung im Recht und in der Befreundung gemeinschaftlich dazu, die Herrschaft der Heiligen zu beginnen.
Ich gebe zu, daß dieser Plan auf nichts weiter als auf meinem harmonischen Empfinden beruht, aber in der Musik liegt tatsächlich die Wahrheit der menschlichen Seele. Oder, um es anders zu sagen: Entschieden wir uns jetzt dafür, unsere Versorgung zu regeln und dafür unsere Werte zu verraten, so weiß ich auch so, ohne harmonische Erwägungen, daß dies zu einem beschämenden Ende führen muß. Im Falle einer rechtlichen Erneuerung ist dagegen in gewisser Weise noch gar nichts gewonnen, was den hohlsten Köpfen auch deutlich vor Augen steht. Doch ist die Befreiung aus einer faulen rechtlichen Konvention,
ohne dabei in reine Tyrannei abzugleiten, etwas ungeheuer hoffnungsvolles, denn es bedeutet, daß der gesellschaftliche Treibstoff noch nicht verbraucht ist, und das ist er nicht, im Gegensatz zu jeder Gesellschaft, welche jemals unter das zermürbende Joch der Tyrannei kam. Vielmehr findet eine Reinigung des Rechts statt, bevor es zur Neuordnung der Versorgung kommt. Die Richtigkeit dieser Wahl ist mir schon klar, wenn auch nur
ex negativo.
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