Wiederum verstehe ich unter einem Fetisch von etwas etwas, was für's erstere gehalten wird.
Ich habe seit langer Zeit einmal wieder die
Star Trek: The Next Generation-Episode
The Outcast gesehen, und obwohl mir mittlerweile ihre intendierte Moral klar und unsympathisch geworden ist, gefällt sie mir insgesamt immer noch außerordentlich, da einfach zu viel in sie eingeflossen ist, um sie intellektuell steril zu machen.
Genauer gesagt handelt es sich bei ihr um unser Bild dessen, wovon Platon im
Phaidros schreibt. Daß dieses Bild völlig schief ist, war mir von der ersten Sekunde, in welcher ich mich seiner Lektüre widmete, an klar, aber wirklich verstehen konnte ich diese seltsame Verschiebung bis gestern nicht. Um es vorwegzunehmen: Wir verstehen die Gefühle, von welchen Platon schreibt, aber nicht die Situation, aus welcher heraus er auf sie zu sprechen kommt.
Fassen wir zunächst einmal den Inhalt des
Phaidros zusammen:
-
geht es um die (gleichgeschlechtliche) Liebe zu Jünglingen,
- um die verschiedenen in unserer Seele wirkenden Kräfte und
- um unsere Sehnsucht nach etwas höherem und dessen Flüchtigkeit.
Im Verlauf seiner Erörterung unterstreicht Platon die Edelkeit des Heranziehens des Jünglings zur geistigen Warte seines Liebhabers, während er die körperliche Seite der Liebe nach besten Kräften kleinredet. Zugleich unterscheidet er aber im guten und schlechten Roß die Verschämtheit von der Unverschämtheit dadurch, daß sich erstere vor der Vernunft verneigt.
Was will Platon uns also sagen, und warum auf diese Weise? Betrachten wir dazu noch einmal die Rede des Aristophanes' im
Symposion. Dort mokiert er sich über Homosexuelle, und was er ihnen letztlich unterstellt ist, daß sie analog zu
leichten Mädchen leichte Jungen sind, also unernst und käuflich, weswegen sie sich eben vorzüglich zu Politikern eignen. Daß zeitgenössische homosexuelle Politiker das nicht sehen und sich auch noch stolz auf diese Passage berufen, hat einen Grund, welcher aber erst im weiteren Verlauf der Betrachtung hier klar wird. Was Platon im
Symposion indes nicht einmal im Ansatz andeutet, ist, daß Homosexualität
unnatürlich sein könnte, daß sie zwei ganz verschiedene Formen der Liebe, die väterliche und die sexuelle, auf abscheuliche Weise verwirrt.
Und man kann auch nicht sagen, daß er dies im
Phaidros suggeriert. Was er aber im
Phaidros tut, ist, ein Verständnis der menschlichen Natur vorzustellen, aus welchem heraus es sich ergibt. Selber weist er nicht in diese Richtung, und doch eröffnet er die Aussicht auf es. Ich möchte meinen, er rührt an etwas, was die alten Griechen nicht aussprachen, weil es ihr instinktives Verständnis davon, wie ihre Gesellschaft funktioniere, betrifft, nämlich Männer auf ihre Weise nach Größe und Ehre streben zu lassen.
Durchaus ironischerweise gerät Platon also an demselben Punkt in Konflikt zur gesellschaftlichen Norm wie wir heute, nur daß die gesellschaftliche Norm eine ganz andere ist. Platon rührt verdruckst an der Selbstherrlichkeit der Griechen und fühlt sich in Gegenwart von Leuten, welche die Idee des Guten als solches erkennen, erhoben. Und wie ist es bei uns?
Was ist unser instinktives Verständnis davon, wie unsere Gesellschaft funktioniere? Was sprechen wir nicht aus?
Daß jeder bloß nach allem streben möge, sich denken, daß die ganze Welt ihm versprochen ist, und seine Mitmenschen als ein einstweilen unvermeidliches lästiges Übel betrachten, denn wenn es auch nicht schön ist, die Welt so anzusehen, so sorgt es doch für den nötigen Eifer, welcher den gesellschaftlichen Wohlstand begründet.
Deshalb ist Intimität heute quasi ein Verbrechen: Mann und Frau dürfen sich nahe kommen, weil es nicht anders geht, und eine Verschwörung gegen die Allgemeinheit namens Familie gründen, aber alles andere verstößt gegen die Spielregeln.
Deshalb geht Promiskuität mit Normumgehung und also Verdruckstheit einher,
deshalb die Mitteilung der eigenen Gedanken unter Pseudonym, wiewohl nur, wenn der eigene Instinkt einen für sie verurteilt, wozu nicht hinreicht, daß er die gesellschaftliche Norm als solche erkennt, sondern wozu er auch von ihrer Angemessenheit überzeugt sein muß, was ich nicht bin. Und
deshalb fühlen wir uns erhoben, und nennen es wohl gar platonische Liebe, wenn wir an Leute geraten, welche gleich uns an die Vorzüge eines vertrauensseligen Umgangs mit einander glauben. Doch sind mir in meinem Leben nur eine solche Frau und ein solcher Mann begegnet.
Indes ist dies eine
subjektive Einschätzung, und so ist es nicht weiter verwunderlich, daß in
unserer Gesellschaft Homosexuelle auf den Gedanken verfallen, daß ihnen eine spezielle, die Gräben familiärer Verfeindung überwindende Rolle bei der Organisation des Gemeinwesens zukäme. Und wenn sie einmal zu dieser Auffassung vorgedrungen sind, sind ihnen eben die Augen für die wahre Bedeutung von Aristophanes' Rede verschlossen.
Halten wir also fest: Während Platon das, was wir sittlich nennen, Verdruckst- und Erhobenheit erzeugte, ist es bei uns das Unsittliche, und weil bei uns Intimität unsittlich ist, meinen wir, Verdruckst- und Erhobenheit seien Ausdrücke der Intimität. Ob Platon gleichwohl meinte, sie seien Ausdrücke der schüchternen Verehrung des Guten?
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