Rekonstitution in autoritären und regelbasierten Gemeinwesen
Ich habe bei meiner Anwendung des I Chings auf die Gegenwart, also daß wir unter der Herrschaft der Unvernunft (oberes Trigramm See) leben, stets darauf hingewiesen, daß unsere zivilisatorischen Einrichtungen, allen voran Zentralbanken, dem nicht entsprechen, und unter dem hiesigen Gesichtspunkt möchte ich behaupten, daß das I Ching allgemein von autoritären Gemeinwesen ausgeht.
Nun, regelbasierte Gemeinwesen sind notwendigerweise das Produkt des Glaubenszykels: Zunächst müssen sie sich über ihre moralischen Vorstellungen verständigen (dogmatische Phase), dann ihnen gemäße Einrichtungen finden (gemeinschaftliche Phase) und erst dann können sie ihnen gemäß leben (persönliche Phase).
Während der gemeinschaftlichen und persönlichen Phasen besteht nurmehr ein fundamentales Vertrauen auf die Sorge: Während die Sorge in der dogmatischen Phase noch das schöpferische Element war, aus welcher die moralische Verständigung erwuchs, gilt ihr in der gemeinschaftlichen nur noch die Dankbarkeit der Achtung und in der persönlichen jene der Lust, das heißt, daß es während der späteren Phasen unmöglich ist, sich über neue verbindliche Grundsätze zu verständigen, weil die Sorge in ihnen als vergleichsweise unproduktiv gilt und die Interessen der Menschen der Praxis gelten.
Marx, etwa, würde ich als spätgemeinschaftliche Gestalt einschätzen, welcher es um Einrichtungen ging, um die anerkannten zivilisatorischen Grundsätze auf die Arbeiterschaft auszudehnen.
Es ist nun aber möglich, daß die Einrichtungen in den Stromschnellen der persönlichen Phase, welche selbstverständlich nicht überall gleichzeitig begonnen hat, Schaden nehmen, derart sich der Zugang unkontrolliert konzentriert, und also die Notwendigkeit zur Rekonstitution entsteht.
Rekonstitution bedeutet aber, die Sorge zu reaktivieren, und während Bismarck, etwa, Wilhelm I. überreden konnte, die Beziehungen der freien Städte, Adelshäuser und Preußens im neugegründeten Kaiserreich auf eine neue Grundlage zu stellen, ist eine solche kreative Übereinkunft, also Reform, in regelbasierten Gemeinwesen völlig unmöglich, und das gilt etwa auch für Hartz IV, bei welchem sich Gerhard Schröder wenigstens implizit über die Grundsätze der Europäischen Union hinwegsetzte, ohne sie reformieren zu können.
Was aber schließlich in einer solchen Situation in regelbasierten Gemeinwesen passiert ist, daß das bürgerliche Gewissen verlangt, der mit der Zugangskonzentration verbundenen Barbarei im Namen der Zivilisation zu begegnen, und dies geschieht zwangsläufig durch autoritäre Machtbefugnisse, an welchem Punkt das regelbasierte Gemeinwesen also wenigstens vorübergehend zu einem autoritären wird, und da die Autorität lediglich eine zu einem bestimmten Zweck verliehene ist, wird ihr bestenfalls eine Revolution, und zwar eine Wiederherstellung der beschädigten Einrichtungen, gelingen, wobei eine Revolution im allgemeinen die gewaltsame (im Gegensatz zur bei der Reform bemühten einverständigen) Ersetzung der bestehenden Einrichtungen bezeichne.
Freilich, bestenfalls ist ein relativer Begriff (zuvor in Bezug auf die Erfüllung des unmittelbaren historischen Zwecks verwendet). In Amerika träumen sie von der Wiederherstellung ihrer Verfassung, aber ihre Verfassung ist im wesentlichen Schuld an ihrer heutigen Situation, auch wenn sie verfälscht wurde, und durch deren Wiederherstellung beheben sie den zugangskonzentrationsbedingten Schaden nicht nur nicht, sondern verschlimmern ihn nur. Und deshalb gibt es für Amerika nur zwei Optionen, nämlich
- sich autoritär auf Kosten Anderer gütlich zu halten, was keine zivilisatorischen Anforderungen stellt und deshalb auch zunächst geschehen wird, und
- den schöpferischen Wert der Sorge wieder zu erkennen, zu was es schließlich kommen wird.
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