Die geistigen Horizonte beschreiben, mit was sich Menschen vornehmlich beschäftigen, nämlich jene
- des körperlichen Horizonts mit ihrer Einnistung,
- des persönlichen Horizonts mit ihrer Modischkeit,
- des philosophischen Horizonts mit ihrer Auffassung und
- des gläubigen Horizonts mit ihrem Glauben,
doch gibt es einen spürbaren Unterschied bei diesen Beschäftigungen, welchen ich nicht unbehandelt lassen möchte.
Ich sah gestern einmal wieder
The Odd Couple mit Jack Lemmon und Walter Matthau. Eigentlich kein besonders guter Film, aber New York erscheint in ihm seltsam eindringlich und lebendig, und das hat mich an das Hamburg meiner Kindheit erinnert: das Gefühl dazu zu gehören und durch sein Auftreten zu jenem etwas beizutragen, vielleicht sich der Vorstellung hinzugeben, ein zweites Paris mitaufzubauen.
Ich möchte sagen, ich spüre dies nicht mehr in Hamburg, in New York sowieso nicht. Wo sind die Begeisterten, die stolzen Zuträger? Etwas muß sich also geändert haben, aber betrachten wir zunächst einmal den Naturzustand.
Es gibt vier Grade der gesellschaftlichen Regulation entsprechend den Gegenständen der Beschäftigung der geistigen Horizonte, also die Regulation der Einnistung, der Mode, der Auffassung und des Glaubens. Bevor nun irgendetwas reguliert wird, handelt es sich bei den Bürgern um
Belassene, und Belassene werden sich alsbald daran machen sich einzunisten.
Wenn Belassene sich nun eingenistet haben, werden sie die weitere Einnistung wohl freiwillig regulieren und ihren Gestaltungswillen
verinnerlichen, indem sie sich ihrer Haltung und damit der Gestaltung der Mode, oder auch der Sitten, zuwenden.
Jemand, der sich nicht weiter mit seiner Einnistung zu beschäftigen braucht, möge als
Selbständiger bezeichnet werden. Selbständige beteiligen sich also an Moden wie Belassene sich einnisten.
Hat nun jemand seinen modischen Ausdruck gefunden, so verinnerlicht er seinen Gestaltungswillen weiter, indem er sich mit seiner Begrifflichkeit, also seiner Auffassung beschäftigt, und so jemand heiße ein
Würdevoller.
Und schließlich, wenn jemand hinreichend klar sieht, so wendet er sich seinem Glauben zu und möge
Gläubiger genannt werden.
Selbständige, Würdevolle und Gläubige sind also nicht nur dadurch solche, daß sie sich mit Mode, Auffassung oder Glauben beschäftigen, sondern auch dadurch, daß sie sich hinreichend
eingelebt haben, um nichts weiter außen liegendes mehr gestalten zu wollen, weshalb es dem Gläubigen eben auch nicht geziemt, komplizierte Betrachtungen anzustellen, noch dem Würdevollen, sich modisch hervorzutun, noch dem Selbständigen, sich durchzuwursteln.
Dennoch nehmen Gläubige auf die Auffassung Einfluß, Würdevolle auf die Mode und Selbständige auf die Einnistung, doch ist dieser Einfluß stets konservativ.
Es gibt aber nicht nur die Verinnerlichung des zufriedenen Gestaltungswillens, sondern auch die
Veräußerlichung des unzufriedenen. Da beschäftigt sich einer nicht mit etwas innerem, weil das äußere bereits wohlgestaltet ist, sondern er beschäftigt sich mit etwas innerem, um etwas äußeres, mit welchem er unzufrieden ist, durch dieses innere zu gestalten.
Der
Modernisierer gestaltet die Mode, um die bestehende Einnistung als unzeitgemäß erscheinen zu lassen, denn wer nur irgendetwas modernisiert, wird ja nicht gleich Modernisierer genannt, sondern erst der, wer ein Umdenken auslöst.
Der
(Zeit-)Kommentator gestaltet die Auffassung, um die bestehende Mode, oder auch die bestehenden Sitten, in ein bestimmtes Licht zu rücken, das heißt Zusammenhänge zu ihr, oder auch ihnen, herzustellen und andere zu unterschlagen, um sie auf diese Weise umzugestalten.
Der
Provokateur gestaltet den Glauben, um die bestehende Auffassung als unzureichend erscheinen zu lassen, denn wer lediglich da provoziert, wo die bestehende Auffassung seinem Glauben nicht gerecht wird, wird darob noch nicht Provokateur genannt.
Wir erhalten also folgende Typen:
- Belassene,
- Selbständige - Modernisierer,
- Würdevolle - Kommentatoren,
- Gläubige - Provokateure,
und daran können wir wohl ablesen, welche Gesellschaft lebt und welche gelebt wird.
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