Zur Aufgabe der Prominenz und der Voraussetzung ihres Gelingens
In einer Gesellschaft, deren Mitglieder einander nicht kennen und auch nicht kennen können, weil es ihrer so viele sind, kommt jenen, welche über ihre privaten Kreise hinaus in das Licht der Öffentlichkeit streben, natürlicherweise die Funktion zu, die Themen vorzugeben, über welche sich die Öffentlichkeit neben sich offensichtlich aufdrängenden, wie dem Wetter, der Gesundheit oder Straßenbauarbeiten, unterhält.
Zwar kann man andere grundsätzlich auch in anderen Angelegenheiten ansprechen, doch gewinnt das Gegenüber dabei selbst bei Wohlwollen bald das unwohle Gefühl, daß die Konversation zu nichts führt und auch besser zu nichts führen sollte, da die Vertiefung des Gesprächs das Knüpfen von Kontakten erforderte, welche man sich ungern auf der Straße aufdrängen läßt.
Im privaten Bereich ist das Gespräch frei, an der Arbeit oder im Verein berücksichtigt es die Erhaltung des verbindenden Rahmens und in der Öffentlichkeit bleibt es auf das gemeinsam Erlebte begrenzt, dessen intellektuelle Seite (die gemeinsam vernommenen Gedanken) in den Händen der Prominenz liegt.
Freilich war die so betraute Prominenz nicht immer damit zufrieden, daß ihr Einfluß dort haltmacht und sich nicht auch auf das übrige gemeinsam Erlebte erstreckt, so hat beispielsweise Victor Klemperer in seinem linguistischen Tagebuch Lingua Tertii Imperii einen Ausspruch Goebbels' festgehalten, in welchem sich dieser darüber beschwert, daß sich die Deutschen im Gegensatz zu den Russen unaufgefordert mit einander über das Kriegsglück besprächen, aber mir soll es hier nur um das Gewicht der Aufgabe gehen, welche der Prominenz natürlicherweise zufällt.
Betrachten wir dazu die dominante Kunstform unserer Tage, den Film; auch weil es sich für mich gerade anbietet.
Ich schrieb bereits von der Veränderung der Erzählform, unter welcher das Kino seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts leidet, siehe Life in plastic, it's fantastic!, aber ich möchte den Niedergang dieser Kunstform hier noch einmal umfassender betrachten.
Wenn wir der Einfachheit halber nur den Tonfilm betrachten, so können wir ohne große Umschweife feststellen, daß die Filmindustrie nach einer gewissen Einlaufphase in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts ihren Zenit erreichte und sich seitdem im Niedergang befindet. Dies ist so offenkundig, daß sich der Widersprechende in die Nähe des Schwachsinns rückt, und meine altersbedingte Vorliebe für Filme eines späteren Entstehungsdatums sollte nicht in dem Sinne mißverstanden werden, daß ich Martin Brest, beispielsweise, für einen größeren Regisseur als Alfred Hitchcock hielte, jetzt einmal unabhängig davon, daß dessen beste Filme in die 50er fallen, so wie Andrei Tarkowskis beste Filme in die 70er fallen, aber es eben dabei bleibt, daß beide, Tarkowski und Hitchcock, Regisseure der 60er Jahre sind.
Vom Wesen her unterscheiden sich die Tonfilme während dessen Aufstieg kaum, allenfalls sie zunehmend anrüchiger wurden, und was die 60er über die vorangegangenen Jahrzehnte stellt, ist lediglich die ungeheure Auffächerung der Filmschaffenden zu dieser Zeit.
Ich möchte den moralischen Niedergang, welcher sich mit Hitchcock ankündigte, mit James Bond fortsetzte und seinen vorläufigen Höhepunkt in den Gaunerkomödien der frühen 60er Jahre fand, nicht kleinreden, aber für das hier betrachtete Thema spielt er keine Rolle; das heißt allenfalls als vorausgeworfener Schatten.
Es wäre nämlich falsch, sich darauf zu konzentrieren, wenn es um eine Gesamtbeschreibung des Films der 60er geht. Exemplarisch läßt sich sein Wesen an Ocean's Eleven verdeutlichen - auch weil es ein späteres Remake zum Vergleich gibt.
Nun hatte dieser Film wahrlich ein All Star Ensemble mit Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis Jr., aber sein Hauptanliegen besteht darin zu zeigen, was diese gedienten Männer auf die schiefe Bahn gebracht hat. Sie sollen echt wirken, von der Straße und aus dem Volk oder, mit Blick auf den Film der 60er insgesamt, aus dem Leben. Um Raffinesse geht es nur am Rande; im Remake freilich im Kern.
Worin besteht denn Audrey Hepburn's Reiz?
Nicht darin, daß jede Frau dieselben Spielchen spielen kann?
Und ist Keira Knightley in der Hinsicht wirklich ein vollwertiger Ersatz?
Und warum ist sie es nicht?
Nicht, weil es bei ihr nur mehr Gesten sind, ohne Beziehung zu den echten Entscheidungen im Leben?
Und so ist es überall, das Kino der 60er ist im besten Sinne bürgerlich, sein Stoff entspringt den Erfahrungen und Träumen der Menschen der 60er. Und dann hat sich der Film in eine andere Richtung weiterentwickelt, unter dem Eindruck Hitchcock's, James Bond's und der Mondlandung, wenn man so will: Er ist elitär geworden, und sei es auf eine effekthascherische Weise.
Freilich ist der Superlativ, und insbesondere in Amerika, schon etwas älter als 50 Jahre, aber er hat das Kino lange Zeit verschont. Aber wie auch immer, in den 70ern begannen Science Fiction und politische Filme zu dominieren, neben Abbildungen der härtesten Randbereiche des Lebens. Steven Spielberg's Erfolggeheimnis ist doch letztlich, daß er dem Zuschauer ein Gefühl von etwas gibt, was dieser bereits verloren glaubte. Und was wäre Spielberg in den 50ern oder 60ern gewesen? Ein Nichts, ein absolutes Nichts.
Spielberg stand indessen nicht, wie sein Erfolg ja auch beweist, alleine, und das Kino der 80er war sichtlich um die Rückkehr in die Mitte des Lebens bemüht, welche indes im Großen und Ganzen scheiterte, wie das Übergewicht der Jugendfilme einerseits und der Reiz von Exoten wie Witness, The Mosquito Coast oder The Emerald Forest andererseits belegt. Wer kein Leben hat, kümmert sich um seine Kinder. Hier in Estland ist ein Vergnügungspark für Kinder, und seien es nur Hüpfburgen, auch die einzige Möglichkeit, unternehmerischen Erfolg im kulturellen Bereich zu haben.
Und dann kamen noch ein paar ernsthaftere Sachen in den 90ern wie Fearless oder The Fisher King, aber auf die Masse hin angesehen brach der Siegeszug von Batman, Spiderman und Konsorten an.
Und wie bei Spielberg war es dann auch bei Hayao Miyazaki wiederum das Gefühl, etwas Totgeglaubtes lebendig zu sehen, was seinen Ruhm erklärt, nur daß Miyazaki ein selbsterklärter Archivar ist und sich hinter ihm keine Bewegung versammelt.
Im Großen und Ganzen ist damit die Geschichte des Tonfilms umrissen, und wir können das folgende Fazit ziehen.
- Ein kulturell reiches Bürgertum gebiert eine kulturell reiche Prominenz.
- Ein kulturell armes Bürgertum kann eine kulturell reiche Prominenz noch nicht einmal geschenkt bekommen,
Freilich gilt der zweite Punkt nur unter der Voraussetzung der modernen westlichen Massengesellschaft und sollte auch in die Richtung weiterverfolgt werden, also durch welche Institutionen wohl das Interesse an der Form des eigenen Lebens im Volke wachgehalten werden könnte. Welche Institutionen dafür aber auch immer dienlich sein könnten, in unserer Gesellschaft haben sie zumindest nicht das nötige Gewicht, und so kann eine Keira Knightley eben nur scherzen eine Audrey Hepburn zu sein, denn in Wahrheit ist sie, wie wir alle größtenteils, ein Buchhalter.
Auch ich selbst betreibe zu viel Buchhaltung, weil zu Vieles keine Rolle spielt und darum rationiert wird. Hier liegt der Hund begraben:
Nur in der Fülle der Möglichkeiten besteht die Wahl.und die zentrale Frage diesbezüglich lautet also:
Was läßt uns etwas mögen?und diese zieht ins Moralische, und, weil auch dies Gegenstand dieses Beitrags ist, möchte ich dazu anmerken, daß zum Mögen Disziplin und Verehrung gehört, das Niedere sich nicht vordrängen zu lassen und sich das Hohe zu entziehen, um sich nicht an es zu gewöhnen. Mit anderen Worten können wir nur mögen, womit es sich wie mit der Gnade Gottes verhält.
Freilich ist das Mögen selbst die emotionale Offenbarung einer göttlichen Gnade, aber wenn wir mit seinen Gegenständen nicht pfleglich umgehen, also wie es sich für solche gehört, dann verlieren wir sie und damit die Fähigkeit, etwas zu mögen.
Und damit können wir die Frage nach den Intuitionen, welche heute dem nötigen Gewicht ermangeln, freilich sehr detailliert beantworten: Es sind offenbar jene, welche uns sagen, was es mit dem auf sich hat, was unserer Seele begegnet, und, wenn ich auf mich selber sehe, uns auf unserem Weg ermuntern - indes, ich mag zu Tode betrübt gewesen sein, doch so ist es nicht mehr, höchstwahrscheinlich, weil selbst Er es war, trägt doch einer den andern.
Doch damit genug der Moral. Aufgrund des beschriebenen Prozesses ist unsere Prominenz gleichsam gestorben, und so erklärt es sich, daß heute in ihren Sphären Trottel auf Untote treffen: erstere verstehen nicht, daß die Menschen ihre Erfassung der zu treffenden Wahl nicht teilen, und letzteren ist es egal, daß ihre Prominenz keine Früchte trägt.
In Wirklichkeit spielt die intellektuelle Seite des gemeinsam Erlebten immer weniger eine Rolle, verkommt alles zu Sachzwängen und auf ihnen fußenden Konflikten, und genau dies zu verhindern ist der faßbare Ertrag der Aufgabe der Prominenz, welcher sie indes nur so lange nachkommen kann, wie sie nicht selbst mit ihrem Publikum zusammen an der Aussichtslosigkeit eingeht.
Die jetzige Stunde ist indes zu spät, um diesem zu entkommen, und zu früh, um es das nächste Mal besser zu machen, doch nicht zu früh, um die Grundlage dafür zu legen, daß es das nächste Mal wieder besser gemacht werden kann.
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