Ich werde in diesem Beitrag eine ganze Reihe von Phänomenen am Beispiel der Dialektik im platonischen Sinne erläutern.
Es ist zur Zeit heiß, und das Denken fällt mir schwer. Aber am Abend finden sich dafür schon noch zwei, drei Stunden. So auch gestern. Nachdem ich unsere Haltung zu einer Erwartung an uns selbst erklärt hatte, wollte mir auf einmal nicht mehr einleuchten, was an unserer Haltung wohl Willkür sei. Also ging ich der Frage nach, worin sich unsere Haltung eigentlich zeigt. Und ich stieß dabei auf das, was ich gerade machte, nämlich spatzieren zu gehen, um nachzudenken.
Unsere Haltung besteht aus Vorgehensweisen, welche wir uns zurechtgelegt haben.
Also aus unseren
Gepflogenheiten.
Was aber ist der Unterschied zwischen einer
Gepflogenheit und einer
Gewohnheit?
Sie mögen jetzt einwenden, das sei dasselbe, aber in dem Moment, als ich unsere Haltung in unseren Gepflogenheiten festzuhalten meinte, war mir etwas wesentlich, was von unseren Gewohnheiten nicht gilt.
Und dies ist nun eine
dialektische Frage im platonischen Sinne, also eine Frage von der Art, wie sie der Fremde aus Elea im Sophistes und Politikos immer wieder stellt. Er nimmt zwei Begriffe, welche einander bis auf
eines gleichen, und fragt, was dieses
eine ist.
Διά bedeutet
durch, und λἐξις
Vokabel, im Gegensatz zu λόγος, was soviel wie
Verständnisform bedeutet, unter anderem etwa
Prinzip und
Verhältnis.
Διαλεκτική bedeutet also
durch Vokabeln.
Es ist manchmal das beste, schlicht den Sachverhalt zu erfassen. Denn wo es um nichts mehr als gerade ihn geht, erspart das fruchtlose Abschweifungen. Übrigens auch im ersten Kapitel des Johannesevangeliums. Die Verständnisform, welche im Anfang war, ist das Verhältnis zwischen Gott und von ihm ausgehenden Bewußtsein, deswegen ist es sowohl Gott, als auch
bei Gott. Dies sind die beiden Teile, welche im Verhältnis stehen: Gott und das bei Gott Sein. Dieses ist das Licht der Menschen und so weiter.
Und so also auch bei Διαλεκτική. Natürlich kann mit
durch Vokabeln alles mögliche gemeint sein, aber in jedem Falle hat es etwas damit zu tun, Vokabeln zu einem bestimmten Zweck zu gebrauchen.
Oder jedenfalls sollte es in jedem Falle etwas damit zu haben, denn Hegel und Marx haben sich nicht daran gehalten. Und Kant nur bedingt, insofern er der Angelegenheit ihren Zweck absprach.
Und Platon meinte mit Διαλεκτική wie gesagt
die Auffindung einer Erscheinungsweise, welche das Denken einer Vokabel vom Denken einer anderen Vokabel unterscheidet.
Man kann soweit gehen, den gesamten sokratischen Dialog (lustig, nicht? Sokratischer Dialog, eleatische Dialektik.) als ein Mittel zu eben demselben Zweck zu verstehen, wobei ich für mich viel mehr aus dem Sophistes und dem Politikos gezogen habe als aus den sokratischen Dialogen. Aber das platonische Prinzip ist in beiden Fälle dasselbe, nämlich die Bedeutung zweier verwandter Worte neben einander zu stellen oder entsprechend zwei verschiedene Sichtweisen auf dieselbe Sache. Wirklich, warum heißt es nicht
Hegelsche Dialogik?
Nein, dieser Aspekt ist
nicht Teil unseres Allgemeinwissens über Platon. Falls Sie das in 2500 Jahren lesen...
Die Besinnung auf die Bedeutungsdifferenz zweier Worte heiße
dialektische Besinnung.
Und meine dialektische Besinnung auf die Bedeutungsdifferenz zwischen
Gepflogenheit und
Gewohnheit führte mich gestern abend darauf, daß unsere Gepflogenheiten unsere
Studienobjekte sind und unsere Gewohnheiten nicht.
Das führt auf die nächste Frage: Wodurch kann etwas
Studienobjekt sein?
Es ist ja so, wenn ein Eindruck gegeben ist, dann läßt sich reflektieren, wie er erscheint, aber das sind keine Studien, schließlich läßt sich der Eindruck ja gar nicht anders denken, allenfalls unklarer.
Etwas kann also nur dann Studienobjekt sein, wenn es in einem Verhältnis zu etwas steht, was
noch nicht gegeben ist.
Unsere Wahrnehmungsvermögen sind also Studienobjekte. Aber abgesehen von unserer übergeordneten Reflexion langweilige Studienobjekte, da das in ihnen Erscheinende für uns als solches Jacke wie Hose ist, wie gesagt, mit Ausnahme der übergeordneten Reflexion, weil das in ihr Erscheinende bewußt werden kann, das heißt die Fähigkeit besitzt, sich zu verstecken und auch versteckt zu bleiben.
Aber im Falle der anderen Wahrnehmungsvermögen... Ich sehe, höre, rieche, schmecke und so weiter... na und? Erwächst mir irgendeine Erkenntnis daraus?
Gut,
etwas Erkenntnis erwächst mir auch daraus. Ich weiß, daß, was immer ich sehe, gelegen und farbig ist. Ich weiß, daß, was immer ich schmecke, zu gewissen Graden süß, sauer, salzig, bitter und scharf ist. Und im Falle des Gehörs und des Geruchs kann man noch nicht einmal behaupten, daß die entsprechenden Erscheinungen übersichtlich sind. (Im Falle des Geschmacks auch nicht so ganz, der fünfte Geschmacksnerv soll ja speziell dafür sein zu schmecken, wie lecker Käse ist. Es fällt mir schwer, das subjektiv zu bestätigen.)
All diese Erscheinungen finde ich aber in der übergeordneten Reflexion und nicht in den betroffenen Wahrnehmungen, ich muß nur wahrnehmen, um dort etwas zu finden. Und ich muß mich auch hierbei auf einen Bedeutungsunterschied besinnen, also was zwei wahrgenommene Eindrücke von einander unterscheidet.
An dieser Stelle sollten wir das mit den Studienobjekten noch einmal überdenken. Genügt es zu fordern, daß ein Studienobjekt in einem Verhältnis zu etwas steht, was noch nicht erscheint?
Oder ist es nicht vielmehr so, daß im Falle der dialektischen Besinnung und auch der nahe verwandten Besinnung auf die Differenz zweier Eindrücke, die Studienobjekte Besinnung und Parameter sind?
Oder auch nur Besinnung oder Parameter?
In welchem Falle Parameter beziehungsweise Besinnung zu Parametern des Studiums werden?
Letzteres ist formal gesehen die natürliche Sicht, aber die dazu nötige biduale Beziehung zwischen Parameter und Einsetzungsfunktion auf dem Funktionenraum dürfen wir nicht implizit voraussetzen.
Nein, ein
Studienobjekt sei ein Eindruck,
welcher, möglicherweise zusammen mit anderen Eindrücken, einen Geisteszustand anleitet und, möglicherweise mit ihnen, als solcher erfaßt wird.
Um also die übergeordnete Reflexion zu studieren, brauchen wir geeignete Studienobjekte, an welchen sie ihren Inhalt preisgibt.
Ohne diese
können wir es auch nicht.
Deshalb sokratischer Dialog oder eleatische Dialektik.
Nun gut, mit Bezug auf die vorigen Bezeichnungen läuft es also darauf hinaus, μέθοδος durch νοῦς anzugeben und ἰδιος durch φαινόμενον und die Anleitung dann auf noch zu bestimmende Weise für βάσις und ψεῦδος zu verwenden.
Dabei ist es aber nicht so, daß wir uns nur besinnen würden, um etwas zu studieren. Wir besinnen uns, um unsere übergeordnete Reflexion zu studieren, beziehungsweise (die Erfassungsdifferenz) irgendwelche(r) Eindrücke. Wir hoffen auf diese Weise Erscheinungsweisen zu finden, welche uns zuvor noch nicht bewußt waren.
Aber wenn wir einen wahrgenommenen Gegenstand studieren wollen, so verwirklichen wir dazu eine bestimmte Muskelanspannung, um zu sehen, wie er sich unter dieser verhält. Das ist die ganze Physik. Also, um ein Beispiel zu bringen, wenn ich etwa einen Flummi in meiner Hand halte und dann die Anspannung meiner Muskeln verwirkliche, welche den Flummi fallen läßt, so gewinne ich die Erkenntnis, daß der vorher lediglich als nicht sonderlich schwere Kugel wahrgenommene Flummi springt.
Heureka! Er springt!
(Und wie er springt! Das ist ja kaum zu glauben... Also wenn ich ihn jetzt dagegen werfe... Aua!)
So gewinnen wir also Aufschluß über die Welt und unseren Geist.
Im Falle der Verwirklichung stoßen wir dabei allerdings auf ein Problem. Ich sehe den Flummi ja die ganze Zeit. Also nicht mehr, wenn ich ihn gegen die Wand geworfen habe, aber vorher, wenn ich ihn nur fallen gelassen habe. Es ist also
eine Wahrnehmung ihn zu halten und ihn fallen zu lassen. Und parallel zu ihr verwirkliche ich. Aber dadurch wird die
eine Wahrnehmung zerlegbar in
zwei Teile. Da ist einmal das nur
Wahrgenommene, und dann ist da das sich durch die Verwirklichung
Zeigende. Und dieses beginnt zunächst ganz unspektakulär, bis der Flummi dann den Boden erreicht.
Und auch bei der Besinnung möchte ich davon sprechen, daß sich etwas
zeigt, selbst wenn es dort kein Kontinuum gibt, welches geschieden werden müßte.
Sich Zeigen ist schlicht die adäquate Erfassung angeleiteter Eindrücke,
sie zeigen sich, Punkt.
Aber zurück zu unseren Gepflogenheiten. Es handelt sich bei ihnen um Auszeichnungen von Taten, ohne daß ich diese an dieser Stelle formal behandeln möchte, und wenn wir diese Auszeichnungen durch übergeordnete Besinnung verwirklichen, so zeigt sich allerlei.
Und genau das studieren wir, bei unseren Gepflogenheiten. Nicht aber bei unseren Gewohnheiten.
Ich hatte beispielsweise gestern abend meinem Spatzieren Gehen anfangs eine beruhigende Wirkung zugeschrieben. Also daß diese Unrast, in einem Haus eingesperrt zu sein, weil draußen die Sonne senkt (mein orthographisches Vermögen, beispielsweise), endlich von mir abfiele.
Aber das war natürlich selten blöd.
Wenn ich aus einem Haus gehe, gehe ich aus einem Haus. Das wurde dann aber langsam besser und schließlich erkannte ich, daß die Gepflogenheit, um welche es mir eigentlich ging, darin besteht, mich durch das Schreiten auf das sich Zeigende einzustimmen, mir eine Metapher für das Studium der übergeordneten Reflexion an die Hand zu geben, wie auch dort, durch den Schritt in der Richtung der Untersuchung, sich das Gesuchte zeigt, konkret etwa durch dialektische Besinnung.
Diese Gepflogenheit ist Teil meiner Haltung. Da haben Sie ein konkretes Beispiel im Detail.
Und jetzt zu den Erwartungen im uneigentlichen Sinne.
Wenn ich ein Studienobjekt studiert habe, wie hier beispielsweise meine Gepflogenheit spatzieren zu gehen und als Teil derselben den Unterschied zwischen Gepflogenheiten und Gewohnheiten, wenn nicht gar die dialektische Besinnung an sich, so muß ich ja auf irgendeine Weise festhalten, was sich am Studienobjekt zeigt. Und genau das sind meine Erwartungen im uneigentlichen Sinne, Auszeichnungen dessen, was sich am Studienobjekt (so schlecht ist's mit τόπος nicht benannt) für wahr gehaltener Weise zeigt.
Ich bin mit dieser Betrachtung ziemlich weit vom
Vornehmen abgekommen, welches sowohl für unsere Haltung als auch für unsere Erwartungen eine zentrale Rolle spielen sollte, aber durch die vorherige implizite Verquickung habe ich mir keinen Gefallen getan, und die hiesige Ausbreitung sollte den weiteren Weg erleichtern.
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