Bereitschaftsbeitrag

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21. Mai 2014

Von Ursprung und Ziel der Erwartungen im eigentlichen Sinne

Bleiben wir zunächst einmal bei unserem im Raum Sein. Wie kommt es, daß wir in ihm Geisteszustände erwarten, zu welchen wir uns aufgefordert fühlen?

Bei den räumlichen Gegenständen ist der Grund ihrer Erwartung übrigens ähnlich, aber etwas verschleierter. Um es kurz zu sagen: Jene erwarten wir, weil wir ihre Präsenz für wichtig halten. Ich werde also eher erwarten, den Notausgang zu finden oder eine Faust, welche meinem Gesicht gefährlich nahe kommt, als einen Wassertropfen auf dem Boden neben einem Schwimmbad. Unmöglich ist aber auch dessen Erwartung nicht.

Der Grund für die Erwartung von Geisteszuständen läßt sich hingegen in größerem Detail angeben. Diese Erklärung beruht indes auf einem Phänomen, welches ich zuvor selbst erst noch in größerem Detail angeben muß.

Wir nehmen nämlich zu allen Geisteszuständen in unserer übergeordneten Reflexion möglicherweise noch etwas wahr, und zwar unser Gefühl ihnen gegenüber.

Der Zusammenhang zwischen Wahrnehmung, Erinnerung, Vorstellung, Verwirklichung, Entsinnung und Ausmalung einerseits und den Gefühlen der Lust, also Begehren, Aufbegehren, Schmerz, Übelkeit, Gereiztheit, Schwindel, Desorientierung, Verwirrung, Hunger, Durst, Müdigkeit, Nervösität und Dumpfheit andererseits liegt erfreulicherweise auf der Hand.

Falls nicht, experimentieren Sie mit Vodka und Pfefferkuchen (mit viel Zuckerguß). Zucker zur Ethanolunterdrückung sozusagen. Was ich sagen will, all diese Gefühle lassen sich ausschalten, wenn Sie auf die genannten Geisteszustände verzichten. Und ja, Ethanol zerstört die Fähigkeit zu ihnen und Zucker fördert die Fähigkeit, nur im Raum zu sein. (Vielleicht ein Hinweis auf Diabetes? Wer weiß... Ein Zuckerschock ist jedenfalls immer wieder was tolles. Man könnte es Zeus-Syndrom nennen. Kindern immer Süßigkeiten vorm Schlafengehen geben!)

Gut, was die Gefühle der Achtung angeht, Neugierde, Kühnheit, Ärger, Schrecken und Angst, sie betreffen - und lenken - die Thematisierung.

Und bei den Gefühlen der Sorge sind es die Urteile, welche die Reflexion betreffen, also Genuß, Trauer, Not, Liebe, Haß, Demut, Erhabenheit, Gunst, Mißgunst und Skepsis.

Die Lage ist hier unerfreulicherweise etwas kompliziert, insbesondere was die Not angeht, sind die Verhältnisse verzwickt.

Mich deucht es besser, das vielleicht zunächst zu übergehen. Dies allerdings müssen wir festhalten, daß diese Gefühle der Sorge für die Frage, wodurch unsere Erwartungen zu etwas aufgefordert zu sein entstehen, irrelevant sind. Relevant dafür sind die Gefühle der Vorsätze, also Zuversicht, Reue, Verzweiflung, Sehnsucht, Zorn, Ehrfurcht, Überheblichkeit, Mitleid, Neid und Zweifel.

Den einen Fall, wie gesagt, übergehen wir einstweilen, die Verzweiflung sei also im folgenden zunächst ausgeschlossen.

Die Gefühle, welche wir also in dieser Situation eingeschlossen haben, entzünden sich an Geisteszuständen und indem sie das tun, machen sie uns unsere emotionalen Anliegen bewußt, was in dem Falle, daß der entsprechende Geisteszustand in der übergeordneten Reflexion vorgestellt wird, zu einer Erwartung just dieses Geisteszustandes führt.

Genauer gesagt beobachten wir da einen Zusammehang, welcher sich verläßlich einstellt. Direkte Einsichten von diesen Dingen haben wir ja wie gesagt nicht.

Diese Erwartungen können indes negativ sein, wie in Anbetracht der Gefühle Schmerz oder Reue ja auch nicht anders zu erwarten.

Wozu aber erwarten wir Negatives? Wozu sollte ich erwarten, daß ich mich schuldig machen werde, wenn ich das werden lasse, was ich bereue?

Mich davon abhalten, etwas zu tun, was ich dann bereue, tut es ja scheinbar nicht, denn sonst würde ich ja nichts bereuen.

Nun, es ist eine technische Geschichte, so wie wir etwas werden lassen brauchen wir negative Erwartungen, um das Unerfreuliche nicht wieder und wieder zu tun. Denn damit verhält es sich so. Wir erwägen alle unsere Erwartungen, gleich ob ihnen vorgestellte Geisteszustände korrespondieren oder nicht, und fragen also unseren Willen um Einverständnis, indem wir ihm alles ihm Zusagende und Widerstrebende vorlegen, daraus etwas werden zu lassen, wobei wir offensichtlich darauf vertrauen, daß ihm die Konsequenzen aus einer solchen Wahl bekannt sind.

Und aus Erfahrung wissen wir wiederum, daß die Vorlage von negativen Erwartungen seine diesbezügliche Kenntnis verbessert.

Wir sind also weitgehend unverantwortlich für das, was wir im eigentlichen Sinne erwarten. Es handelt sich stets um das Anspringen eines Gefühls auf eine Vorstellung.

Nur bei der Verzweiflung ist es anders. Sie springt nicht auf eine Vorstellung eines Geisteszustandes an, sondern auf unser im Raum Sein.

Zu diesem bildet sie eine Erwartung, eine negative Erwartung, nämlich die unserer Ausgeliefertheit. Nur daß diese nur eine Seite der Medaille ist. Die andere ist der Bruch der Suche nach unserem Vorteil, das Ausklinken aus unserer tierischen Bestimmtheit, die Aufgabe dessen, was uns zu einem solchen, wie wir sind, macht, wie ich es im Beitrag Transzendenz im Detail beschrieb. Und auch diese Erwartung können wir werden lassen, selbst wenn unserer Natur die Ausgeliefertheit widerstrebt.

Diese Ausgeliefertheit wird dabei allerdings erst dann empfunden, wenn wir die blinde Erwartung, welche uns die Verzweiflung an die Hand gab, werden gelassen haben, was in sofern eine singuläre Sache ist, als wir dabei von einem nur im Raum Sein gleich in das nächste nur im Raum Sein übergehen.

Ausgeliefertheit in diesem Sinne kann nicht einem anderen Wesen gegenüber empfunden werden, sondern nur Gott gegenüber: It's not an easy thing to meet your maker.

Es ist dabei übrigens gänzlich unmöglich sich auszuliefern, wenn man nicht verzweifelt ist. Wir wissen nichts von jener Erwartung, außer daß sie von der Verzweiflung gegeben wird und in ein Gefühl der Ausgeliefertheit mündet. Alles weitere ist das Ergebnis langwierigen Philosophierens. Auch erfordert sie, daß man daran unschuldig ist, woran man verzweifelt, weil ansonsten die eigene Natur ihrer eigenen Aufhebung im Wege steht. Ich sage das als Kommentar zu Schopenhauers Bemerkungen zum Freitod. Ich kann auch aus eigener Erfahrung bestätigen, daß der Wunsch, sein Leben zu enden, immer auch bedeutet, daß man noch an etwas glaubt und nicht verzweifelt ist, schließlich weiß der Selbstmörder stets wozu. Es ist mehr, die Welt an sich aufzugeben als für sich selbst.

Das hört sich monströs an, und das ist es auch. Aber die Abwesenheit von Glauben dauert immer nur einen Augenblick. Es ist dabei aber nach den unterschiedlichen Teilen der Seele und den zugehörigen Suchen zu unterscheiden. Nur weil man oben etwas gefunden hat, hat man unten noch lange nichts gefunden. Es gilt nur umgekehrt. Wer unten etwas findet, der hat auch oben bereits gefunden, weshalb der Zykel des Glaubens so voranschreitet, wie er voranschreitet.

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