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31. Dezember 2022

Rhythmische Strukturelemente

Ich möchte ein paar Einzelheiten zum Beitrag Zur Ausrichtung der Aufmerksamkeit und der Vorstellung der Gegenwart nachliefern.

Wir strukturieren Rhythmen, indem wir jeden Übergang als einer von drei Klassen angehörig betrachten:
  • Er ist notwendig, wenn wir uns erneut in die Haltung des rhythmischen Musters hineinversetzen müssen.
  • Er ist automatisch, wenn er zwischen zwei Polen hin- und herpendelt.
  • Und er ist willkürlich, wenn wir einem rhythmischen Muster, welches wir definiert haben, folgen.
Für die grundlegenden Takte gilt folgendes.
  • 1/4: alle Übergänge sind willkürlich,
  • 2/4: alle Übergänge sind automatisch,
  • 3/4: der erste Übergang ist willkürlich, der zweite automatisch und der dritte notwendig, und
  • alle anderen: alle Übergänge bis auf den letzten, welcher notwendig ist, sind willkürlich.
Der 3/4-Takt erzeugt deshalb eine Art Taumel, weil die Art des Übergangs ständig wechselt.

Rollende Rhythmen sind solche, in welchen willkürliche und automatische Übergänge alternieren; neben dem 3/4-Takt etwa 1/8, 1/8, 1/16, 1/16, 1/16, 3/16, 1/8, 1/8, 1/8, wo die ersten beiden Übergänge automatisch sind, die nächsten drei willkürlich, die nächsten drei wieder automatisch und der letzte notwendig ist und die Schläge als beliebig kurz angenommen werden und die Brüche die Länge der Pausen zwischen ihnen kennzeichnen.

Man mag einwenden, daß dies subjektiv sei und sich nicht objektiv definieren lasse, aber woran auch immer es liegt: Wenn wir einen Rhythmus hören, strukturieren wir ihn auf dieselbe Weise, auch wenn wir keine objektive Handhabe dazu haben, genau so, wie wir auch den Versfüßen bestimmte Bedeutungen beilegen.

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Elvira Madigan

Ein Jahr vor Alexandre le bienheureux kam Elvira Madigan als Warnung vor dem Landstreicherleben in die Kinos. Die Vorlage bildet eine wahre Geschichte aus dem Jahre 1889, ein schwedischer Graf verfällt einer Seiltänzerin, desertiert und, nachdem das Geld aufgebraucht ist, erschießt er sie und sich.

Es geht um das Glück und seine Koexistenz mit der Welt. Der Film zeigt eine glückliche, aber auch anstrengende Welt, in welcher Sixten und Hedwig aber nicht fußfassen, sondern nur als zahlende Gäste logieren.

Sie haben keine anderen Gründe dafür, als daß sie ihr Glück sehr einseitig gewichten, aus einem Gefühl seiner Absolutheit heraus, welches keinen Ausgleich kennt, nicht weil es kein anderes Glück geben könne, sondern weil jedes andere Glück einen Verrat an der Herrlichkeit des Glücks darstellt.

Dies entspringt natürlich Kierkegaards Gedankenwelt und hat seine Wurzeln in der Behauptung des Zwischenmenschlichen inmitten zunehmender Geschäftsmäßigkeit, von welcher man im Film übrigens nichts sieht, vielmehr erscheint das Dänemark des 19. Jahrhunderts als Idylle, und der Film scheint zu sagen: Wir hatten das schonmal. und So schlimm ist es nicht.

Natürlich ist es wirklich nicht so schlimm, aber, wenn wir jetzt einmal auf Alexandre le bienheureux blicken, ging es 1967 ff. auch nicht darum, sondern um eine Reconquista, also in menschliche Verhältnisse zurückzufinden, und das ist insofern relevant, weil diese Aufgabenstellung gesellschaftliche Organisation impliziert, so daß von Weltflucht keine Rede sein kann. Die Weltflucht ist nur ein Vorbild, welches die Wertschätzung des Glücks verkörpert, und einen dazu aufruft, sich zu überlegen, in welchem Rahmen man ihm nacheifern kann, wie etwa Pierre Richard in Alexandre le bienheureux.

Dennoch bleibt es einsichtsvoll, die Hippies mit Kierkegaard in Verbindung zu bringen, und dies reflektierend nahm ich mir vor, den vorigen Beitrag zu schreiben. Sonderlich angenehm ist es natürlich nicht, Elvira Madigan zu sehen, aber es liefert einen nützlichen Referenzpunkt.

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Zur Ausleuchtungsbreite der einlösenden Phase des popkulturellen Zykels

Ich hatte die einlösende Phase des popkulturellen Zykels zuletzt seine anerkennende Phase genannt, aber ich möchte die ältere Bezeichnung nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.

Wenn man die einlösende Phase von 1870 betrachtet, fällt natürlich auf, daß ihr Denken keineswegs ausschließlich gründerzeitlich, staatsdienlich und hegelianisch war, sondern auch schwindsüchtig und kierkegaardisch, sowie staatsfeindlich und marxistisch.

Aus diesem Grund sei die Ausleuchtung in der einlösenden Phase in folgende drei Klassen unterteilt:
  • prognostisch, die Machtverhältnisse betreffend,
  • konduktiv, die Organisationsmöglichkeiten betreffend, was für Organisationen sich bilden lassen, und
  • idealistisch, das Ideale betreffend.
Hegel setzte sich seinerzeit durch, weil es in der einlösenden Phase des popkulturellen Zykels stets um die Neufundierung der staatlichen Organisiertheit geht, welche in der vorangegangenen verfolgenden Phase aus dem Gleichgewicht geriet, und Hegels Denken nicht nur konduktiv, sondern auch auf den bereits bestehenden staatlichen Einrichtungen aufbauend war, ähnlich übrigens wie Dugins Denken heute, oder auch Klaus Schwabs.

Aber auch das prognostische und idealistische Denken von 1870 haben im weiteren Verlauf des popkulturellen Zykels Früchte getragen, Marx' Denken in der auslösenden Phase von 1920, und Kierkegaards in der verfolgenden von 1970.

Der Grund für ersteres ist schlicht, daß die Prognose just jene Verhältnisse prognostiziert, welche in der folgenden auslösenden Phase des popkulturellen Zykels aufbrechen, der Grund für letzteres besteht hingegen darin, daß die Verfolgung sich an der Einlösung ein Vorbild nimmt und das Ideale am bewundernswürdigsten ist, gleich ob es dann wiederum die Verbundenheit, die Rechtschaffenheit oder den Frieden betrifft.

Freilich, ganz nach Plan ist es 1920 nicht verlaufen, und es ist durchaus interessant, Trotzkis Abgleich von Theorie und Praxis zu betrachten, wo er die wahre Krise des Kapitalismus' in die fernere Zukunft verlegt. Dennoch waren die klassenkämpferischen Motive 1920 am stärksten ausgeprägt, wenngleich vielleicht nur als Neuauflage der vorigen auslösenden Phase von 1770. Später verschoben sie sich, wie Trotzki ganz richtig analysierte, zu antikolonialistischen.

Ich bin, was meine Prognose angeht, deutlich pessimistischer als Trotzki, und auch Marx, was die Zeit angeht, welche den bestimmenden politischen Postulaten bleibt, und ich mache mir entsprechend wenige Gedanken darüber, was sich in ihrem Rahmen organisieren läßt. Und wenn man sich die genannten Exponenten dieses Denkens heute ansieht, so besteht auch wenig Grund, diese Einschätzung zu hinterfragen: Dugins ist adaptiv und nahezu beliebig und Schwabs darüberhinaus leicht durchgeknallt.

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30. Dezember 2022

Zum Hegel-Marx'schen Versuch, die Dialektik als geschichtsbestimmende Wissenschaft zu etablieren.

Es verwundert vielleicht, daß ich im vorigen Beitrag auf das I Ching, Platon, mich, Otto von Bismarck und Johannes zu sprechen kam, als ich mögliche Ansätze zu einer geschichtsbestimmenden Wissenschaft erwog, Bismarcks Ansatz wurde übrigens auch schon von William Strauss und Neil Howe aufgegriffen, aber nicht auf Friedrich Hegel und Karl Marx, aber wiewohl ich gestern schlicht nicht an sie dachte, hat es damit doch seine Richtigkeit, denn was Hegel und Marx gemacht haben, ist nichts als ein Witz, welcher in Hegels Fall auf ihn selbst zurückfällt und in Marx' auf das akademische Umfeld seiner Zeit.

Wie wir im vorigen Beitrag gesehen haben, besteht die reflexive Politikwissenschaft darin, die Folgen der bestimmenden politischen Postulate herauszuarbeiten, und eine geschichtsbestimmende Wissenschaft müßte darüberhinaus die Entwicklung der jeweilig bestimmenden Postulate vorhersagen, und genau das behauptet die Dialektik auch zu leisten.

Was Hegels Fall nun so erbärmlich macht, ist, daß er die Folgen der zu seiner Zeit bestimmenden politischen Postulate gerade nicht herausarbeitet, sondern lediglich zurückblickend behauptet, daß die bisherige Entwicklung gesetzmäßig verlaufen sei, insofern logische Mißstände erkannt wurden und Abhilfe geleistet, bis eben zu Hegels Zeit ein Zustand der logischen Vollkommenheit erreicht wurde.

Taugt das auch nur ansatzweise dazu, die Geschichte vorherzusagen? Natürlich nicht. Allerdings läßt es sich der Dialektik bemächtigen, um die Entwicklung der bestimmenden politischen Postulate zu kontrollieren und damit die natürliche Reflexion ihrer Folgen zu stören, das heißt sie durch die Betonung unwesentlicher Aspekte auf Abwege zu bringen, und so steht Hegel heute denn auch für die Diskurskontrolle durch die Kontrolle beider diskutierter Positionen, pro und contra.

Bei Marx liegt der Fall anders, denn er hat mit der Konzentration des Kapitals sehr wohl die Folgen der bestimmenden politischen Postulate seiner Zeit herausgearbeitet, und auch durchaus passabel, und es ging ihm natürlich darum, durch diese Reflexion neue Postulate zu etablieren, also ganz wie Platon, die politische Diskussion durch seine Einsichten zu bereichern, nur daß er es nicht einfach so anstellen mochte, sondern statt dessen seine Reflexion in eine Wissenschaft eingebettet hat, welche vorgibt, den Lauf der menschlichen Geschichte insgesamt vorherzusagen, was durchaus witzig ist.

Taugen tut sie natürlich nur gerade so weit, wie die Marx'sche Reflexion der seinerzeitigen und auf ihrer Grundlage vorhergesagten weiteren gesellschaftlichen Zustände belastbar ist, also nur gerade so weit, wie seine spezielle Prognose reicht.

Übrigens, auch wenn Marx dem Großkapital von Anfang an willkommen war, um Konkurrenten auszuschalten, heißt das doch nicht, daß Marx selbst seine geschichtliche Bedeutung darin gesehen hat.

Meine Reflexion und Prognose unterscheiden sich von Marxens formal gesehen, soweit es die spezielle Situation betrifft, nicht, nur daß ich weniger die Notwendigkeit sehe, sie in eine geschichtsbestimmende Wissenschaft einzubetten, als vielmehr neugierig bin, inwiefern eine solche andenkbar ist.

Jedenfalls stimmt es, daß im vorvorletzten  Jahrtausend, die Offenbarung wurde nur ein paar Jahrzehnte später geschrieben, viel mehr in dieser Richtung ausgeleuchtet wurde als im letzten, wo Otto von Bismarck, einmal von mir abgesehen, ziemlich alleine dasteht, und ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich es hasse, wenn Leute darüber diskutieren, wie sie soziale Einrichtungen zu ihren Gunsten benutzen könnten, anstatt darüber, was ihnen aus den bestehenden sozialen Einrichtungen erwachsen wird. Und es ist Aristoteles, welcher dafür gesorgt hat, daß, wenn jemand letzteres zu tun beabsichtigt, wie Karl Marx, er zunächst eine Pseudowissenschaft hinstellen muß, damit sich der universitäre Betrieb bemüßigt fühlt, seine Argumente zu erwägen. Nun, ich sehe diese Notwendigkeit wie gesagt nicht, denn die Änderungen, welche mir vorschweben, können sowieso nicht von Universitäten ausgehen, wiewohl sie natürlich einen Resonanzraum für alle möglichen Gedanken bilden und auch meine transportieren könnten.

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29. Dezember 2022

Zur Ausrichtung der politischen Wissenschaft

Politik wird durch Argumente bestimmt oder, was das selbe ist, durch Postulate, denn Argumente geben dadurch den Ausschlag, daß die Argumentation in den Rang eines Postulats erhoben wird.

Es fällt natürlich sofort auf, daß es in der heutigen Politikwissenschaft niemanden wie Platon gibt. Und warum ist das so? Weil Aristoteles die Wissenschaft als einen über gesicherte Erkenntnisse stufenweise fortschreitenden Prozeß definiert hat.

Doch wie kongruent ist dieser Ansatz, wenn wir die Politik betrachten?

Muß man nicht, wenn man die Politik studiert, zunächst danach fragen, was die bestimmenden Postulate der Zeit sind, und anschließend ihre Folgen herausarbeiten? Trägt man nicht gerade so dazu bei, daß neue Argumente in die politische Diskussion eingehen, welche über den Horizont der sie bestimmenden hinausgehen, gerade weil sie sie reflektieren?

Aber die bestimmenden Postulate ändern sich mit der Zeit, und also kann es keine aristotelische Politikwissenschaft geben, es sei denn sie vermöchte die Änderung der Postulate aus gewissen Prinzipien herzuleiten, doch das versucht sie noch nicht einmal, statt dessen unterstellt sie sich bestimmten Postulaten, welche sie als ewig betrachtet, und erzeugt damit noch einen Grund, an ihnen festzuhalten, nämlich um ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht zu verlieren, nicht arbeitet sie die Folgen der Postulate heraus, was ihre Gültigkeit in Zweifel ziehen könnte, sondern vielmehr die notwendigen Bedingungen ihrer Gültigkeit, weitere, sie bedrohende Postulate, und ihren Nutzen im Falle ihrer Gültigkeit.

Mit anderen Worten betrachtet Platons Politikwissenschaft die Folgen der Überzeugtheit von gewissen Postulaten und unsere ihre Ausbeutbarkeit, und entsprechend möchte ich von reflexiver und bemächtigender Politikwissenschaft sprechen, wobei nur die letztere eine Wissenschaft im aristotelischen Sinne ist, also eine, bei welcher Zwerge auf den Schultern von Riesen stehen können, während bei ersterer ein jeder auf dem Boden seiner Zeit steht.

Gewisse Versuche der Herleitung der bestimmenden Postulate aus bestimmten Prinzipien gibt es zwar, siehe etwas das I Ching, Platons Abfolge der Herrschaftsformen, meine popkulturellen, Glaubens- und Zeitalterzykel, Bismarcks Generationenfolge (Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt.) oder auch die Offenbarung, aber bis zu einer aus ihnen erwachsenden Wissenschaft ist es noch etwas hin.

Doch betrachten wir lieber eine konkrete Reflexion. Die bestimmenden beiden Postulate unserer Zeit sind, daß
  • ein Ungleichgewicht des Schreckens zu Schrecken führt und
  • es gleich ist, wie Geld verdient wird, da alles käuflich ist.
Da besteht natürlich eine gewisse Spannung, aber die Folgen lassen sich dessen ungeachtet leicht angeben, nämlich
  • zunehmende Investitionen in Kontroll- oder Zerstörungstechnologien (He who can detroy a thing, controls a thing.), einschließlich der Militarisierung des Gesundheitswesens (Viren als Waffen, Impfungen als Rüstungen), dem einfachen Gesetz folgend, daß durch den technischen Fortschritt eine potentiell unbegrenzte Bedrohung entsteht, wohingegen die menschlichen Bedürfnisse auch potentiell begrenzt sind,
  • soziale Verwerfungen aufgrund sturzartiger Profitabilitätsverschiebungen.
Freilich, wie ich vor kurzem ausführte, betrachtet es die politische Klasse als ihre Aufgabe, die Verwerfungen abzufedern, und dazu stehen ihr auf staatlicher Ebene die beschriebenen Mittel zur Verfügung: Wenn jeder Staat nur hinreichend protektionistisch ist, ist das Problem natürlich gelöst. Dem entgegen stehen aber die Vorteile der Spezialisierung, jedenfalls so lange der Handel frei ist.

Zusammengefaßt: Militärische und soziale Sicherheit werden mit Effizienz erkauft und umgekehrt. Das ist immer so, aber die Fähigkeit der Politik, hier das Gleichgewicht zu finden, hängt entschieden von der Reflexion des Problems ab.

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28. Dezember 2022

Kleine Phänomenologie der Ausleuchtung

Jede Ausleuchtung eines Sachverhalts besteht aus zwei Schritten, seiner Auffassung durch ausgesuchte Verhältnisse und deren Bestimmung (im Sinne von in Erfahrung bringen).

Wir sagen auch, daß durch seine Auffassung der Ansatz der Ausleuchtung gewählt wird. Wählen wir den Ansatz nicht selbst, so greifen wir ihn auf, etwa wenn wir uns in rechtschaffener Zuneigung in die Beklommenheit unseres Nächsten hineinversetzen, um ihm bei der Bestimmung der ihn beschäftigenden Verhältnisse zu helfen.

Dabei ist die Aufgabenstellung oftmals von der Art, Gegenstände in ein vorgegebenes Verhältnis zu bringen, sie also im anderen Sinne zu bestimmen, doch die Verhältnisse zwischen den zu diesem Zweck erwogenen Schritten müssen wiederum im obigen Sinne bestimmt werden, um zu sehen, ob der Weg zum Ziel führt, wobei im konkreten Fall natürlich nicht nur Schritte aufgegriffen und deren Verhältnisse bestimmt werden, sondern auch umgekehrt zusätzliche Schritte vorgeschlagen werden.

Ist die Bestimmung der ausgesuchten Verhältnisse einmal gelungen, so können sie fortan, mal von Erinnerungsschwierigkeiten abgesehen, vergegenwärtigt werden, sofern es sich um einen bestimmten Sachverhalt handelt. Handelt es sich hingegen um einen bezüglichen Sachverhalt, etwa daß es regnet, so kann die Bestimmung der ausgesuchten Verhältnisse aufgenommen werden, sofern sie hinreichend eingeübt wurde.

Wurde eine Ausleuchtung hinreichend eingeübt, so läßt sich der Begriff, daß etwas in in ihr enthaltenen Verhältnissen zu etwas anderem steht, einlösen, beispielsweise sich vorstellen, daß es auf dem Mars regnet, oder etwas praktischer, eine Schrittfolge, welche zum Ziel führt.

Und all dies zusammen bildet die Freude am Ausleuchten, wie sie in Wüsten, wo sich uns nichts zum Umgang anbietet, empfunden wird, und die Eiswüste ist wahrscheinlich ein freundlicherer Ort als die andere, jedenfalls für eine Weile, da Gefahr und Leiden an der Kälte doch recht überschaubar sind.

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27. Dezember 2022

Zur jüngeren Geschichte des Instrumentalismus'

Ich möchte die vorangegangenen Beiträge unter einem bestimmten Aspekt zusammenfassen, nämlich jenem des Instrumentalismus', womit ich das politische Vertrauen auf Instrumente meine.

Das erste Mal charakterisierte ich die politische Ordnung der Engländer vor 10 Jahren als instrumentell, und gestern stand sie mir wieder einmal vor Augen. Der Instrumentalismus muß die Entfaltungsschwierigkeit, welche er mit sich bringt, verschleiern, und ist also auf Fortschrittsvorstellungen angewiesen. In seiner demokratischen Form bewirbt er Fortschrittsvorstellungen und stützt sich auf sie nach dem Grad ihrer Popularität, indem dieser ihre gesetzliche Normierung trägt.

Die Bürger akzeptieren Fortschrittsvorstellungen, weil sie sich von ihnen Früchte der instrumentellen Ordnung versprechen. Und so lange der Instrumentalismus demokratisch ist, stellt jede angenommene Fortschrittsvorstellung eine Weiterentwicklung der Einbindung der Bürger in die instrumentelle Ordnung dar, so daß hier weniger visionäre Zukunftsperspektiven vorliegen als vielmehr geschickte Wertverzerrungen, welche die Bürger den systemischen Interessen der instrumentellen Ordnung anpassen, weshalb Aldous Huxley ihre Anpassung auch so gut prognostizieren konnte, denn letztlich genügt dazu die Kenntnis der systemischen Interessen; ein Rattenfänger wird sich schon finden.

Mit anderen Worten wird die Entwicklung des demokratischen Instrumentalismus' vollständig durch die ihn konstituierenden Instrumente bestimmt, welche bereits in seiner Anfangsphase von einander abhängen und einen gordischen Knoten bilden, welcher wesentliche Änderungen der konstitutiven Instrumente mit der Gefahr des Systemversagens verbindet, weshalb ja auch die kirchlichen Strukturen von der liberalen Gesellschaft übernommen wurden, Kanzel: Presse, Beichte: Rechtsanwälte, Glaube: Ärzte, König: Staat, Juden: Korporationen.

Indem der technische Fortschritt neue Instrumente zur Verfügung stellt, entstehen also Spannungen im gordischen Knoten, und diese führen zum Ruf nach dem Tyrann, welcher ihn durchschlägt und die Instrumente neu zusammenstellt.

Und warum hat die Geschichte kein glückliches Ende?

Weil der Tyrann den Instrumentalismus und somit auch die Entfaltungsschwierigkeitsverschleierung fortsetzt und zu diesem Zweck den Bürgern seine Fortschrittsvorstellungen aufzwingt.

Komisches Licht heute: Alles irgendwie rot-braun, die Sonne auf dem Fluß, und in ihm zentnerschwere Eisauswölbungen, welche am Gras festgefroren wippen und vom Wasser in quallenartige Formen gespült werden. Gerade wenn man denkt, man hätte schon alles gesehen.

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25. Dezember 2022

Adäquanz- und erfolgsbasiertes Selbsterleben

Der vorige Beitrag warf die Frage nach gewissen Gattungen der Musik auf, welche schnurstracks zu den Gefühlen der sieben Feuer des Gerichts zurückführt, weshalb ich letztere noch einmal systematisch betrachten möchte.


Die Bestürztheiten bestehen in fortgesetzten Schwierigkeiten des Durchschreitens der drei Zeiten, des Entfaltens der linearen Zeit, des Ausleuchtens der netzförmigen und des Verpflanzens der punktförmigen, und wir registrieren diese Schwierigkeiten auf zwei verschiedene Weisen, nämlich
  1. indem wir uns vergegenwärtigen, in wiefern wir das Adäquate befolgt haben, das Aufrufende beachtet, das Bedeutsame berücksichtigt und das Zuversichtspendende ergriffen, und
  2. indem wir uns den Erfolg unseres Entfaltens, Ausleuchtens und Verpflanzens vergegenwärtigen.
Ergebenheit ist die Stimmung, welche mit der Haltung, das Bedeutsame zu berücksichtigen, einhergeht, Achtung jene, welche mit der Haltung, das Aufrufende zu beachten, einhergeht, und Verwurzeltheit jene, welche die Haltung, das Zuversichtspendende zu ergreifen, begleitet.

Genugtuung, Freude und Stolz sind die auf die punktförmige, beziehungsweise lineare oder netzförmige Zeit bezogenen Unterarten des Stolzes im weiteren Sinne, in sofern uns die Vergegenwärtigung einer Verpflanzung mit Genugtuung oder Wurmung, einer Entfaltung mit Freude oder Eingeschnapptheit und einer Ausleuchtung mit Stolz oder Schmach erfüllt.

Und dies läßt sich auch auf unsere Befolgung des Adäquaten anwenden, mit anderen Worten handelt es sich bei der Schuld um die Schmach, das Bedeutsame nicht berücksichtigt, beim Unwert um die Eingeschnapptheit, das Aufrufende nicht beachtet, und bei der Verstoßenheit um die Wurmung, das Zuversichtspendende nicht ergriffen zu haben.

Ist der Schaden irreparabel, steigert sich die Schuld zu Reue, der Unwert zur Schicksalsmahnung und die Verstoßenheit zur Lebenstrauer, was uns mittelbar dazu bewegt, Ersatz stiften zu wollen.

Beim Erschaudern handelt es sich hingegen um adäquanzbasierten Stolz angesichts bloß vorgestellter Schuld, und entsprechend beim Selbstwertgefühl um adäquanzbasierte Freude angesichts bloß vorgestellten Unwerts und bei der Statusangst um adäquanzbasierte Genugtuung angesichts bloß vorgestellter Verstoßenheit, und indem sie eine Grenze zwischen uns und dem Vorgestellten ziehen, halten sie uns vom Inadäquaten ab.

Haben wir reparablen Schaden angerichtet, so nehmen wir eine vorsichtigere Haltung ein, welche sich im Falle der Schuld in der Stimmung, geduldet zu sein, ausdrückt, im Falle des Unwerts in ermatteter (weniger hochfahrender) Stimmung, und im Falle der Verstoßenheit in erstärkter (wettmachender) Stimmung.

Ist der Schaden hingegen irreparabel, so wird uns unsere Haltung unerträglich und unsere Stimmung verfinstert sich zu Verworfenheit im Falle der Reue, Albdruck im Falle der Schicksalsmahnung und Schwäche im Falle der Lebenstrauer, was uns wie gesagt dazu antreibt, Ersatz zu stiften, und dies tun wir im Falle der Reue durch Buße, der Schicksalsmahnung durch Gehorsam und der Lebenstrauer durch Selbständigkeit.

Erfolg bei der Verpflanzung ändert unsere Haltung derart, daß unsere Stimmung zärtlich wird, bei der Entfaltung derart, daß unsere Stimmung fröhlich wird, und bei der Ausleuchtung derart, daß sie behaglich wird, und entsprechend führt Mißerfolg zu einer Haltung, welche im Falle der Verpflanzung von einer trotzigen, im Falle der Entfaltung von einer albernen und im Falle der Ausleuchtung von einer gekränkten Stimmung begleitet wird.

Stellen sich hingegen Durststrecken ein, auf welchen wir nicht verpflanzen, entfalten oder ausleuchten, so meldet sich unsere Stimmung ohnmächtig (ich habe hilflos jüngst mehr im Sinne von ausbleibender gewohnter Hilfe verwendet), beziehungsweise niedergedrückt oder gelangweilt.

Und dies führt wie im Falle des irreparablen Schadens zu einer Haltungsänderung, derart daß Ohnmacht in Ehrfurcht, Niedergedrücktheit in Verzweiflung und Langeweile in Erhabenheit übergeht, indem wir uns unterwerfen, beziehungsweise ausliefern oder entheben, und durch diese Radikalisierung überwinden wir die Durststrecke.

Da wir das nun haben, können wir die folgenden musikalischen Gattungen definieren:
  • Adäquanzleiden: Gegenüberstellung der Befolgung und der reparablen und irreparablen Schäden,
  • Ergehen: Gegenüberstellung des Erfolgs und Mißerfolgs,
  • Zeitleiden: Darstellung von Durststrecken,
  • Überwindung:  Darstellung der Radikalisierungen,
jeweils für Entfaltung, Ausleuchtung und Verpflanzung, so daß wir auf insgesamt zwälf Gattungen kommen.

Beispiele.
  • Ludwig van Beethoven ist ein Überwindungskomponist, die Eroica kreist um Erhabenheit und Enthebung (des Gesellschaftschirurgen auf dem Schlachtfeld), die Fünfte um Verzweiflung und Auslieferung (des Einzelnen) und die Neunte um Ehrfurcht und Unterwerfung (unter die demokratische Gesellschaft), aber er hat auch betretenes Ergehen vertont, in der 8. Klaviersonate, und beklommenes Adäquanzleiden, in der Missa Solemnis.
  • Richard Wagner ist hingegen ein Adäquanzleidenkomponist, aber nicht des beklommenen, sondern des betretenen, in Rienzi, Lohengrin und Tristan und Isolde, welche sich allesamt um Verwurzelt- und Verstoßenheit drehen, und des besessenen, im fliegenden Holländer, Tannhäuser und Parsifal, welche sich allesamt um Achtung, Schicksalsmahnung, Albdruck und Gehorsam drehen, aber auch er hat im Ring des Nibelungen betretenes Ergehen vertont, Zärtlich- und Trotzigkeit.
  • Crime of the Century ist wie gesagt eine Vertonung des Zeitleidens, und zwar des besessenen, und mein Walzer für W.F. ist es auch.
Alle diese Gattungen beschreiben das Durchschreiten der Zeiten und bezeugen einen lebendigen Geist, aber nur die Zeitleiden und die Überwindungen zeugen vom Atem der Geschichte. Ekstatische Musik ist bisweilen reduzierte Ergehensmusik, wann aber keine reale Person übrig bleibt, und theoretisch kann sie selbstverständlich von überall her Anleihen nehmen.

Nun, jedenfalls wäre damit die zeugende Musik, um ihr hiermit einen Namen zu geben, definiert, und während Adäquanzleiden und Ergehen persönlich sind, sind Zeitleiden und Überwindungen geschichtlich. Natürlich kann man die zeugende Musik insgesamt in den Wind schlagen, aber so lange man sie hat, hat man auch einen Begriff des Lebens, und wenn man sie nicht hat, fehlt er oftmals auch.

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24. Dezember 2022

Zur Verschleierung der Entfaltungsschwierigkeit

Ich berührte im vorigen Beitrag die Wahrnehmung gegenwärtiger Bestürztheiten, und diese ist insbesondere für die Besessenheit von Belang, denn während sich Geheuerheit und Stimmigkeit verhältnismäßig leicht ablesen lassen, ist dies bei der Heiligkeit nicht so ohne weiteres der Fall, das heißt, wir sehen wohl, wenn einer beklommen oder betreten ist, aber ob es jemandem schwer fällt, sich zu entfalten, läßt sich nur mit Empathie erkennen.

Doch auch über unsere eigene Entfaltungsschwierigkeit können wir uns täuschen, wenn wir, wie im vorigen Beitrag beschrieben, an einem Scheinfortschritt teilnehmen, also einer theoretischen Verbesserung unserer Lebensumstände. Wir meinen dann, etwas wesentliches zu leisten und unserer geistigen Heimat näher zu kommen, aber wir täuschen uns darüber.

Daß wir uns tatsächlich täuschen, wird uns erst nach längerer Zeit klar, und auch dann nur vage in Form des Gefühls, daß uns etwas fehlt. Wenn man aber weiß, wonach man sucht, lassen sich verräterische Anzeichen finden, welche die Sache mit größerer Bestimmtheit entscheiden, und das deutlichste von ihnen ist die Musik, also daß es uns drängt, unseren Gefühlen musikalisch Ausdruck zu verleihen, denn wenn es uns zur Entfaltung drängt, so auch zur Musik, so daß Phasen großer geschichtlicher Entfaltungen auch von Komponisten vom Schlag eines Ludwig van Beethovens vertont werden.

Ich dachte lange Zeit, unsere Zeit könne keine Musik haben, da sich nichts in ihr entfalte, und dann gab ich selbst mit meinem Walzer für W.F., ich war damals 23, dieser Entfaltungsschwierigkeit in einem konkreten Fall musikalisch Ausdruck, aber ich war nicht der erste, welcher in unserer Zeit die Entfaltungsschwierigkeit vertonte. Der erste mag Hans Pfitzner gewesen sein, nach der Rose vom Liebesgarten, aber Pfitzners Entfaltungsschwierigkeit ist nicht originär, sondern die des Autors, welcher kein Thema findet. Die erste originäre Vertonung der modernen Entfaltungsschwierigkeit ist vielleicht dieses Stück von Supertramp.



Sehr viel besser natürlich das Crime of the Century Album, aber auch das wurde seinerzeit als Teenage Angst abgetan, doch das stimmt nicht, es ist die Musik unserer Zeit. Was es sonst noch an Musik in unserer Zeit gibt, ist ausnahmslos ekstatisch, Hingabe an den Moment, das Gefühl und die Zeit vergessen machend. Daher auch meine Liebe für The Prodigy, da dort nicht die geringste Verwirrung der Sache versucht wird.

Wer also einer der modernen Weltbeglückungstheorien anhängt, den wird sie nicht mit Musik erfüllen, wie Napoléon Ludwig von Beethoven mit Musik erfüllt hat, und da Hitler niemand mit Musik erfüllt hat, ist auch der Beweis erbracht, daß es nicht am pompösen Auftreten oder der Persönlichkeit liegt, sondern am Atem der Geschichte, und der heutige ist eben von bedrückter und nicht von ausholender Art.

In gewisser Weise handelt es sich also auch bei der Generalisierung dieser Bedrücktheit als Teenage Angst und der ekstatischen Ausrichtung der Musik um Verschleierungsmanöver der Entfaltungsschwierigkeit, doch möchte ich näher an der Sache bleiben.

Die erste Art der Verschleierung ist eben der Scheinfortschritt, welcher eine Scheinentfaltung suggeriert, und die zweite Art der Verschleierung ist die Scheinautorität, welcher der einzigen, eben der Empathie, ihre abspricht und auf diese Weise dafür sorgt, daß jenen, welche aufgrund ihrer Empathie Entfaltungsschwierigkeiten wahrnehmen, kein Gehör geschenkt wird. Aldous Huxley hat dies in Brave New World treffend beschrieben: die Abtötung des natürlichen Seelenlebens zur arbeitsgerechten Abrichtung, wo die Fortschrittsrichter Liebeswahnsinnige verurteilen, was die Essenz des Feminismus' ist.

Natürlich wäre es schön, wenn der Scheinfortschritt als solcher erkannt würde, und seine Scheinautoritäten als solche mit ihm, denn wo nicht, muß alles sich nur noch weiter zuspitzen, bis es verstanden wird, doch das Beispiel der Verwandlung des Umweltschutzes zeigt, wie unwahrscheinlich das ist.

Der Umweltschutz entstand aus einem Gefühl der Bedrücktheit, nämlich die moderne Technologie nicht hinreichend im Griff zu haben, war also einer zumindest halbbewußten Entfaltungsschwierigkeit geschuldet, nämlich keinen Platz in einer giftigen Umwelt zu finden, und drängte, indem er Atomkraftwerke durch einfachere Technologien zu ersetzen suchte, auf Dezentralisierung und flachere Hierarchien.

Und heute? Heute besteht der Fortschritt darin, möglichst viele giftige Batterien zu produzieren und einfache Technologien durch komplexere zu ersetzen, für mehr Zentralisierung und tiefere Hierarchien einzutreten und den Menschen, wenn nicht gleich im Namen des Umweltschutzes auszurotten, so doch möglichst umfangreich zu kontrollieren. Als Entfaltungsschwierigkeit wird das aber nicht wahrgenommen, und, möchte ich behaupten, das Horrorszenario einer tropischeren Welt auch nicht. Das Gefühl einer bestehenden Entfaltungsschwierigkeit ist vielmehr durch abstrakte Beflissenheit ersetzt worden. Aus bedrückten Menschen wurden überzeugte Ameisen.

Dabei könnte nichts natürlicher sein, als der Grundidee des Zeitalters der Wunder folgend herauszufinden, welche Bildung, welche Beherrschung welcher Werkzeuge in was für verfaßten Gemeinschaften, uns das glücklichste Leben ermöglicht, indem wir wieder Herren unseres Schicksals werden und unsere geistige Heimat entfalten.

Einfach. Und die Alternative: verdammt. Nein, Sicherheitsgarantien gibt es nicht. Aber wenn es keine gibt: Warum nicht das Gottgefällige tun?

Schönes Plädoyer. Um die Herzen der Menschen ist es aber anders bestellt.

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23. Dezember 2022

Bestürztheitsrückzug

Verheißungsfülle, die Ahnung der Bahn zu unserer geistigen Heimat, entspringt in geistiger Fremde, und zwar aus persönlicher Betroffenheit heraus oder aus theoretischer Vernünftelei.

Ob es das eine oder das andere ist, hängt davon ab, wie gegenwärtig die Bestürztheit der Menschen ist, wie anschaulich uns unsere eigene Besessenheit, Beklommenheit und Betretenheit ist und die unserer Mitmenschen, wie groß die Entfaltungs-, Ausleuchtungs- und Verpflanzungsschwierigkeit im Alltag ist und wie klar wir sie wahrnehmen.

Ist sie allgegenwärtig, so sind uns entsprechend überall Heiligkeit, Geheuerheit und Stimmigkeit verhießen, welcher es uns einstweilen ermangelt. Doch wenn sie sich aus dem Alltag zurückzieht, so begegnet sie nurmehr der tiefsinnigen Entfaltung, Ausleuchtung oder Verpflanzung, und der Rest der Menschen wendet sich dem theoretisch Verhießenen zu.

Tiefsinnig mit der Entfaltung beschäftige ich mich auf diesem Blog, tiefsinnig mit der Ausleuchtung beschäftigen sich etwa an der Kernfusion Arbeitende und tiefsinnig mit der Verpflanzung beschäftigen sich die Organisatoren von Großunternehmen wie Tesla oder Amazon, und also fühle ich mich hilflos, Kernphysikern ist nicht alles geheuer und Elon Musk und Jeff Bezos nehmen hier und da Unstimmigkeiten wahr, aber die meisten Menschen sehen diese Schwierigkeiten nicht.

Statt dessen machen sie sich allgemeine Gedanken darüber, was das Leben verbessern würde, und hängen ihren jeweiligen Theorien an, und das heißt mit anderen Worten Fraktionsbildung einerseits und Losgelöstheit andererseits, und in diesem flüchtigen Meer vereinzelt die Betroffenheit bis sie von neuem alltäglich wird. Freilich ist es traurig, aber was wäre gewonnen, wenn es ausbliebe? Die Administratoren murmeln ihre Mantras der Bewirtschaftung, und die Bürger erhitzen sich in Träumen, dieweil das Schicksal unergriffen in einem stinkenden Sumpf mäandert.

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22. Dezember 2022

Alexandre le bienheureux

Qui ne connaît pas le but de son cœur, mesure son vide et pas son succès.

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Das Fleisch der Hure

Das Fleisch der Hure besteht in der willkürlichen Vermittlung von Gütern, also in ihrer Macht über die Festsetzung der Bedingungen der Vermittlung.

Die Vermittlung findet dabei im staatlichen Rahmen statt, also in
  • Ausbildungs-,
  • Arbeits- und
  • Lebensumfeldern,
wobei Arbeit dasjenige ist, was die Mittel zum für sich gewollten Leben liefert, und Ausbildung dasjenige, was die Mittel zur Arbeit liefert.

Die willkürliche Vermittlung kann also auf drei Ebenen gestört werden:
  1. auf der bürgerlichen durch den Unmut der Bürger über die auferlegten Ausbildungs-, Arbeits- oder Lebensbedingungen,
  2. auf der administrativen durch Probleme der Administration bei der Gestaltung des Ausbildungs-, Arbeits- oder Lebensumfelds, und
  3. auf der staatlichen durch die politische Zurückweisung der Vermittlungsbedingungen.
Die den Bürgern auferlegten Bedingungen sind:
  • praxisbetonte Ausbildung,
  • austauschbare Arbeitsleistung und
  • kommerzielle Lebenselemente,
und wenn sie auch nicht beliebt sind, so werden sie doch hingenommen.

Probleme hat die Administration nur bei der Gestaltung des Arbeitsumfelds, bei der Gestaltung des Ausbildungs- und Lebensumfelds besitzt sie hingegen große Freiräume, doch bei der Gestaltung des Arbeitsumfelds steht sie zunehmend unter Druck, da sie mit zunehmend größeren Unternehmen zu tun hat, und das führt zu tyrannischen Tendenzen, welche sich in alle möglichen Richtungen entladen.

Und auf der staatlichen Ebene ist es die Überwindung künstlicher Verknappung durch Industrieförderung, Schmuggel und Mißachtung geistigen Eigentums, welche die Vermittlungsbedingungen unterläuft.

Die zehn Hörner sind also bisher eher außerhalb des Westens zu vermuten, doch kann sich dies bei entsprechender wirtschaftlicher Entwicklung noch ändern.

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19. Dezember 2022

Nochmals zur Abfolge der platonischen Herrschaftsformen

Grundlegend für Platons Unterscheidung der Herrschaftsformen ist der Gegensatz zwischen Ordnenden und Geordneten. Platon geht von einem Ordnungswillen aus, welcher die Aristokratie auszeichnet. Dieser ordnet zum einen das Geschäft der Ordnung selbst und zum anderen die Gesellschaft insgesamt, und beide wachsen unter dieser Ordnung.

Indem das Geschäft der Ordnung wächst, verdrängt zunächst das Kriegsgeschäft die Verkörperung des Ordnungswillens, bevor es selbst von der Wirtschaft verdrängt wird. Der Übergang von der Aristokratie über die Timokratie zur Oligarchie besteht also in der Vererbung der Entscheidungsgewalt an die Praktiker der Ordnung.

Die ganze Zeit, während sich dieser Prozeß vollzieht, bewertet die Gesellschaft die Ordnung, und schätzt dabei
  • die Ordnungsanlage durch die Aristokraten,
  • die Bewährung der Ordnung durch die Timokraten und
  • die Auffüllung der Ordnung durch die Oligarchen,
doch geht Platon davon aus, daß die Gesellschaft schließlich unzufrieden mit der Ordnung wird und selbst ordnend eingreift, auf welche Weise die Demokratie entsteht.

Die Demokratie schätzt an sich selbst ihre Vernunft, welche sie dazu befähigt, gerade jene politischen Mißstände zu beheben, an welchen sie sich stört. Doch wiederum geht Plaron davon aus, daß die Gesellschaft damit unzufrieden wird und schlagkräftigere Mittel sucht.

Die politische Vernunft der heutigen Gesellschaften ist eigentlich gar nicht so übel, das heißt, sie ist durchaus in der Lage, funktionierende politische Lösungen zu formulieren. Allerdings läßt sich beobachten, daß der Politik Ordentlichkeit stets weniger als handfeste Interessen gilt, und daß die so entstehenden Schlagseiten nie öffentlich diskutiert werden, beispielsweise
  • die Verlagerung der industriellen Produktion nach China,
  • die Schwächung südeuropäischer Wirtschaften durch Hartz IV-Aufstockung,
  • der blinde EU- und NATO-Expansionismus,
  • die Erdgasabhängigkeit von Rußland,
  • die Migrationspolitik,
  • die Markierung gesellschaftlicher Feinde, etwa auf Twitter.
Das kocht gerade alles etwas hoch, doch systemisch relevant ist die Unfähigkeit der Gesellschaft, ihrer Vernunft Gehör zu verschaffen, wobei ich folgenden Sachverhalt annehme: Die Gesellschaft wird traditionell als unvernünftig betrachtet, und eine Klasse von hinreichend im Leben stehenden Männern trifft die demokratischen Entscheidungen für sie auf der Grundlage von volkswirtschaftlichen Erwägungen, welche im Laufe der letzten Jahrzehnte zunehmend fragwürdig wurden.

Um dies gebührend allgemein zu begreifen und auf Platon zu beziehen, sei es als normative Verengung der gesellschaftlichen Vernunft bezeichnet, auch wenn nur ein innerer Zirkel von ihr betroffen ist. Aus dieser Verengung heraus ergäbe sich dann die Unzufriedenheit der Gesellschaft mit ihren eigenen politischen Entscheidungen, und der Vorzug des Tyrannen dann besteht darin, daß er Normen nach Belieben sprengen kann, wobei dies natürlich nur ein Vorzug für jene ist, welche ihre eigene Eingeengtheit spüren, doch auf's Ganze gesehen verstärkt sich der Druck der Einengung durch den Normbruch ja nur, da Kompromisse in Konflikte übergehen, so daß sich die Tyrannei schon auswachsen wird.

Übrigens, in solchen Situationen gibt's natürlich immer auch die Möglichkeit für Oligarchen, sich beliebt zu machen, allerdings müßte in unserer heutigen Lage die Demokratie auf die Gesellschaft ausgeweitet werden, um einen bleibenden Unterschied zu erzielen, und das ist sehr unwahrscheinlich, wenn ich etwa an Mike Gravel denke und wie es ihm 2008 erging. Was mich letztlich erschreckt, ist die Prinzipienlosigkeit der Menschen: Es ist eines, als Kind zu sehen, wie sie sich für nichts begeistern, aber dann als Erwachsener auch noch zu sehen, wie sie alles sang- und klanglos verraten, was selbstverständlich schien - nun, es ist tatsächlich so, auch wenn nicht alle beteiligt sind.

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16. Dezember 2022

Zur Ausrichtung der Aufmerksamkeit und der Vorstellung der Gegenwart

Ich habe das Erwachen von Eindrücken in unserem Bewußtsein als unvillkürlich behandelt, doch läßt es sich selbstverständlich durch die Ausrichtung der eigenen Aufmerksamkeit beeinflussen, welche selbst als eine Art Auslösung betrachtet werden kann.

Genauer gesagt ist jede Ausrichtung der Aufmerksamkeit Teil eines fortwährenden Entschlusses, bestimmte Wahrnehmungen zu berücksichtigen, und so lange dieser Entschluß anhält, können wir uns nicht zu anderen Entschlüssen gleicher Art entschließen, sondern ist unsere Aufmerksamkeit an ihn gefesselt, und das ist insbesondere auch dann der Fall, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf etwas sich veränderndes richten, also nicht auf eventuell erwachende Eindrücke, sondern auf gegenwärtige Eindrücke, welche in andere übergehen, mit welchen zusammen sie eine Vorstellung ihrer Veränderung bilden.

Derartige Vorstellungen können gerade so lange anwachsen, wie unsere Aufmerksamkeit nicht unterbrochen wird, und werden von uns als potentiell gegenwärtige Augenblicke betrachtet, auch wenn sie zum überwiegenden Teil nicht gegenwärtig wahrgenommen, sondern vorgestellt werden. Wäre es anders, könnten wir beispielsweise nicht sagen, daß in jenem Augenblick jemand schnell an uns vorbei lief.

Aber nicht alle Eindrücke bilden solche Augenblicke ihrer Veränderung. Zwar bildet der Begriff der räumlichen Entfernung eines Gegenstandes womöglich einen solchen, und auch der Begriff der zeitlichen Entfernung eines Taktschlags, aber wenn der Eindruck auf einer Rückschau beruht, also daß wir abhängig von etwas sind, etwas gültig ist oder wir für etwas verantwortlich sind, so blicken wir außerhalb solcher Augenblicke stehend auf sie zurück, und die Länge der Erfassung der eigenen Abhängigkeit, der Gültigkeit von etwas oder der eigenen Verantwortung ist ungewiß, und wir fühlen uns aus der Zeit entrückt.

Aber zugleich werden wir dabei auch in die Zeit entrückt, da Abhängigkeiten Anknüpfungspunkte der Verfolgung sind, Gültigkeiten Anknüpfungspunkte der Einlösung und Verantwortungen Anknüpfungspunkte der Auslösung, derart das Ergreifen von Handlungen den Fluß des Geschehens zerreißt.

Die Schwierigkeit etwa, Schlagzeug zu spielen, besteht darin, sich nur die abstrakteste Rechenschaft über sein Spiel zu geben, und seinem Spiel so zuzusehen, wie man auch seinen Füßen beim Schlendern zusähe, denn wenn sich der Schlagzeuger über einen Teil des Rhythmus Rechenschaft gibt, verliert er die Fähigkeit, dem Rest zu folgen.

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12. Dezember 2022

Mysteries

Auch wenn ich schon vor vielen Jahren auf Knut Hamsun aufmerksam wurde und ihn sowohl von seiner Erscheinung, als auch von seinen Themen her für interessant hielt, bin ich erst jetzt mit einem seiner Werke bekannt geworden, und zwar in Form dessen Verfilmung aus dem Jahre '78.

Hamsun ist wahrscheinlich grundsätzlich kein besonders filmgerechter Autor, da es ihm ja um Inkongruenzen geht und dem Kino gerade um das Gegenteil, also nicht darum, das scheinbar Stimmige als unstimmig darzustellen, sondern das Unstimmige als scheinbar stimmig.

Der Film schlägt sich aber wacker, indem er mit surrealen Elementen und einer übertriebenen Melodramatik jongliert, auch wenn es nicht immer funktioniert, wie beim ersten Mal, als Nagel die untreue Verlobte zurückweist, und das ist auch ein Punkt, an welchem die ganze Schwierigkeit zugespitzt ist: Wie kann ein Film ein Tête-à-tête mit dem Ansinnen zeigen, daß es doch nicht schön ist, wenn die Angehimmelte ihren Verlobten so einfach fallen läßt, wenn auch für einen selbst?

Nun, es gäbe die brutale Variante, aber die ginge noch weiter fehl. Oder der ganze Film wird als Kopfkino angelegt, wie der Protagonist die Welt sieht, was Hamsun effektiver einfinge, aber sich von seiner Erzählweise löste.

Die Themen in Mysteries sind:
  • Unwichtigkeit und Gewicht des Lebens,
  • menschliche Pläne und das unmittelbar Gebotene und
  • das vollkommen Angemessene und das Recht des Menschen auf Unvollkommenheit,
worin sich insgesamt die weit verbreitete Vorstellung ausdrückt, daß die ethischen Vorstellungen eines Menschen sein Privatvergnügen sind, welche der Komplexität des Lebens doch nicht gerecht werden können, wobei Nagels Versuch, vor sich selbst zu fliehen und sich der höheren Weisheit zu beugen, dennoch etwas anrührend Aufrichtiges an sich hat.

Ich habe Hamsun ja als umgangsfordernd, reflektiert und vom persönlichen geistigen Horizont eingeschätzt, und seine Befindlichkeit ist eine unmittelbare Folge des reflektierten persönlichen geistigen Horizonts, wo der geistige Horizont der Gesinnung nicht gewachsen ist, welche wenigstens des philosophischen geistigen Horizonts bedarf, um belastbare Beobachtungen anzustellen.

Genauer möchte ich den Film eigentlich gar nicht durchgehen, wer ihn kennt, wird die genannten Themen schon wiederfinden, nur das letzte Thema ist mal wieder von der Art, wie ja auch in Segen der Erde, wo er den rechten Umgang mit Erbschäden, nämlich die Fortpflanzung nicht zu scheuen, doch die mißgestalteten Kinder dann zu töten, durchgeht, nur um dann zu beklagen, daß es dem Menschen einfach nicht zumutbar ist, sich zu solcher Größe aufzuschwingen, daß es zu verschweigen als verdächtig angesehen werden könnte.

Hier also meint Hamsun, denkbar ein Wort Christi aufgreifend, nämlich sich von einem Teil seines Körpers zu trennen, welcher dem eigenen Seelenheil im Wege steht, daß es für alle am besten wäre, wenn man ihre Schönheit als Macht begreifenden Frauen Säure ins Gesicht schüttete, gerade so viel, daß eine Narbe auf der Wange ihrer Begehrenswertheit ein Ende setzte, was in der heutigen Zeit mit dem Wiederauftauchen der Praxis mehr als hundert Jahre später eine verstörende Aktualität besitzt. Nun, von der Art sind die Erkenntnisse 33 Jähriger, welche versuchen, ethische Gewißheiten aus logischen herzuleiten und dabei keinen persönlichen Bezug zum Thema, kein persönliches ethisches Anliegen besitzen, weil sie, ganz Kinder ihrer Zeit, meinen,daß alles bereits zum besten bestellt sei. Heute spricht man von Wohlstandsproblemen, was bei Hamsun nicht paßt, aber die Präpotenz, mit welcher sich Geschulte an Problemen des Lebens versuchen, ist die selbe, und sie ist Hamsun weiß Gott ins Gesicht geschrieben, ein Spezialfall dessen, was Schopenhauer meinte, als er befand, daß Beliebtheit bei Kindern Gemeinheit ankündige. Nun, Hamsun, thematisiert diese seine und allzu vieler Unzulänglichkeit wenigstens, auch wenn er ihre Ursache nicht vollständig versteht.

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Zum Zusammenspiel von Informationserwerb und -berücksichtigung

Bevor wir Informationen berücksichtigen können, müssen wir sie zunächst erwerben, doch andererseits lassen sich zuverlässige Informationen über das Verhalten von Menschen nur auf der Basis der Informationen, welche sie berücksichtigen, erwerben, und dies begründet ein prognostisches Interesse von Informationserwerbern am Nichterwerb von Informationen, also weil die von ihnen erworbenen Informationen auf berücksichtigten Informationen beruhen, welche sich änderten, wenn die betroffene Partie anderweitige Informationen erwürbe.

Dieses Interesse richtet sich auf drei Formen der Prognose, nämlich die Prognose von
  • beliebigem Verhalten, zum Beispiel einer Kriegspartei,
  • angestoßenem Verhalten, zum Beispiel von Befehlsempfängern, und
  • natürlichem Verhalten, beispielsweise im Rahmen einer Prophezeiung,
und gerade wie eine Prophezeiung nicht eintreten könnte, wenn sie das ihr zugrundeliegende natürliche Verhalten änderte, gerade so werden Waffensysteme wertlos, wenn jene des Feindes, auf welche sie eingestellt sind, durch solche ersetzt werden, welche ihrerseits auf sie abgestimmt sind.

Propheten haben keine Möglichkeit, Änderungen des natürlichen Verhaltens zu verhindern, allenfalls ließe sich sagen, daß sie durch Verheißungen Menschen in natürlichen Tendenzen bestärken, aber derartige Prophetien sind von der langweiligen Art und erzeugen im an sie seit Jahrtausenden gewöhnten Menschen nur ein Schulterzucken. Wenn Propheten überhaupt auf das natürliche Verhalten Einfluß nehmen, dann indem sie seiner Änderung Ausdruck geben und die Zukunft dessen prophezeien, worauf sie selber hinwirken.

Beliebiges Verhalten läßt sich nur dadurch kontrollieren, daß ihm Grenzen gesetzt werden, im Bereich des Wahrnehmbaren und des Machbaren, durch Geheimhaltung und Freiheitseinschränkung, und das kennzeichnet die Beziehungen zwischen Nationen seit ehedem, die Freiheitseinschränkung natürlich mehr im Falle von zu Provinzen hinabgesunkenen.

Und was angestoßenes Verhalten angeht, so besteht die erste Form der Kontrolle in der Wahl des Anzustoßenden, gleich ob er Befehle empfangen oder provoziert werden soll, eine gewisse Voreiligkeit, Überzeugtheit von der Bedeutung der lancierten Informationen bei abschätzigem Übergehen weiteren Informationserwerbs ist sicher von Vorteil, und es stimmt auch, daß sich Befehlsgeber und -empfänger gerade darin unterscheiden, daß Befehlsempfänger Informationen hüten und Befehlsgeber Informationserwerbsweisen.

Ich bin diesbezüglich übrigens ein ziemlich seltsamer Fall, insofern ich oftmals abschätzig weiteren Informationserwerb übergehe, aber es zugleich vermerke und irgendwann vielleicht doch noch wieder darauf zurückkomme, was so ein bißchen der Rolle des unbedarften Draufgängers entspricht, der ahnt, daß er ein Trottel sein könnte. Nun, so selten dürfte diese Art auch wieder nicht sein, und immerhin sammelt sie viele Erfahrungen, saugt vieles in sich auf, ohne aber sich aufzugeben.

Die zweite Form der Kontrolle angestoßenen Verhaltens besteht darin, Informationsverbreitung zu unterbinden. Dies hat auch wieder zwei Komponenten: Zum einen werden störende Informationen aus den öffentlichen Nachrichten herausgefiltert, zum anderen aber auch die an die Anzustoßenden lancierten Informationen möglichst geheim gehalten, damit nicht, wo es sich etwa um Lügen handelt, jemand, der die Wahrheit kennt, dazu bewegt wird, sie zu ihrer Verteidigung zu verbreiten. Und auch dies sieht man bei Befehlsgebern gerade wie bei Aufstachlern, welche auch nicht wollen, daß die Falschen von ihren Sticheleien Wind kriegen.

Und die dritte Form der Kontrolle angestoßenen Verhaltens besteht in der Gestaltung der sittlich-rechtlichen Situation des Anzustoßenden derart, daß Sitte und Recht Druck auf ihn ausüben, sich wie beabsichtigt anstoßen zu lassen, im Falle einer Provokation etwa ihn durch den Ehrenkodex zu erpressen, wie es Smerdjakow in den Brüder Karamasow vorschwebt, während er davon träumt, alle Adligen zum Duell fordern zu können, wie Mitjka es kann. Nun, darum sind Ehrenmänner eben Ehrenmänner, daß sie es mit ihrer Ehre nicht vereinbaren können, den Ehrenkodex zu mißbrauchen. Andererseits, angesichts von Sossimas Bekehrungserlebnis steht natürlich die Frage im Raum, ob Ehrenmänner überhaupt in der Lage sind, den Mißbrauch als solchen zu erkennen.

Heute hat die Entwicklung der Waffentechnik dazu geführt, daß sich die sie entwickelnden Nationen argwöhnisch belauern, einerseits darauf bedacht, die feindlichen Waffensysteme kennenzulernen, und andererseits, die eigenen so gut es geht zurückzuhalten, und da dies inhärent widersprüchlich ist, nimmt die Versuchung zu, die Freiheit der Feinde ein für alle Mal hinreichend einzuschränken: Im Sog des Kontrollbedürfnisses sorgt der technische Fortschritt zu immer höheren Umlaufzahlen bei der Reise der Kontrollmächte nach Jerusalem, und das führt ganz wie beim Kinderspiel dazu, daß sie immer mehr durchdrehen.

Das Schöne am Glauben an Gott ist, daß man nur so viel kontrollieren will, wie es einem das eigene Gewissen befiehlt, also für wessen Kontrolle man vor Gott verantwortlich ist, aber die da nach Jerusalem reisen haben längst diesen Maßstab verloren, wenn sie ihn je hatten.

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8. Dezember 2022

Rechtschaffenheitsvorstellungen und Sozialität

Es gibt vier verschiedene Verhältnisse zwischen Rechtschaffenheitsvorstellungen und Sozialität,
  • beim Interessenausgleich spielen Rechtschaffenheitsvorstellungen keine Rolle,
  • bei der Verständigung wird eine momentane Überschneidung der Rechtschaffenheitsvorstellungen ermittelt,
  • bei der Zustimmung werden Rechtschaffenheitsvorstellungen als allgemein verbindlich erklärt und
  • bei der Selbstbeweihräucherung spielt die Sozialität keine Rolle.
Bei letzterer ist es also so, daß das eigene Handeln einzig von den eigenen Rechtschaffenheitsvorstellungen abhängt und die Interessen und Rechtschaffenheitsvorstellungen Anderer unbeachtet bleiben. Dies ist nicht grundsätzlich verwerflich, eine Schule, beispielsweise, mag so verfahren, aber in den meisten Fällen ist dieses Verhalten befremdlich.

Zum Interessenausgleich ist nichts weiter zu sagen, zum Gegensatz zwischen Verständigung und Zustimmung schon.

Abgesehen davon, daß die Zustimmung auch solche anlockt, welche nichts auf Rechtschaffenheit geben, sondern sie nur als Mittel zum Zweck vertraglichen Vorankommens betrachten und die Korrektur etwaiger Codexfehler also erschweren, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um implizite oder explizite Codices handelt, ist es unverständig anzunehmen, daß aus einer Reihe sukzessiver öffentlicher Zustimmungen jemals der eigene Glaube Gestalt annehmen könnte, da dazu notwendig eine Auseinandersetzung mit den eigenen Begriffen erfolgen muß, welche den eigenen Rechtschaffenheitsvorstellungen erst das eigene Gepräge gibt, welches, wenn es auf den Codex angewendet wird, eine Reihe von Ja-Abers, das heißt eine eigene Interpretation ergibt, welcher die bloße Zustimmung zu ihm im Wege steht.

Anders ausgedrückt, die Ehrung des Codex durch die Zustimmung geht zu Lasten der Ehrung der Rechtschaffenheit, in sofern letztere vom Menschen als ihrem Sinnesorgan abhängt. Nicht immer überwiegt dabei die eine Seite: Wenn es um Gesetze geht, das Recht und insbesondere das Ius Naturale, so überwiegt die allgemeine Verbindlichkeit die klärende Herausschälung des Rechtschaffenen, doch wenn es um kulturelle Entwicklungen geht, darum, die eigene geistige Heimat zu entfalten, ziehen Kodifizierung und Zustimmung vom rechten Weg. Freilich, verschiedene Völker entwickeln sich in verschiedenen Bereichen, und eines mag mit einem Codex leben und ein anderes nicht. Grundsätzlich aber müssen sich verschiedene Kulturen stets verständigen und können sich keinem Codex unterstellen, welcher ihre Entwicklung regelt, denn dann sterben sie.

Es ist vor diesem Hintergrund ganz interessant, über die richtige Seite der Geschichte zu räsonieren. Gemünzt war dies stets auf Abirrungen, welche sich schließlich doch wieder der richtigen Seite der Geschichte anschlossen, also dem so genannten Mainstream, was natürlich passiert und wofür es etliche historische Beispiele gibt, nur ist dies eben ein organischer kultureller Entfaltungsprozeß, und nicht jeder Pionier kann ein Vorreiter sein. Heute hingegen wird der Begriff anders verwendet, im Sinne eines überlegen Codex. Das ist sehr unehrlich und verweist auf eine suizidale Verblendung, und ich höre auch einen gehässigen Unterton über alles Lebendige. Nun, die so reden denken, das Rechtschaffene sei klar und einfach und wohlvertreten in der Politik. Aber faktisch haben sie ihre Rechtschaffenheitsvorstellungen jenen des Staates untergeordnet, und das macht sie kalt und mechanisch für jene, welche es sehen können.

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7. Dezember 2022

Beim Gastmahl

In welchem Moment sich seine Seele offenbarte und er mit blitzenden Augen das Kausationskonstrukt der Staatsanwaltschaft aufgriff, um die Einschätzung der Augenzeugen abzuschmettern.

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3. Dezember 2022

Vergegenwärtigung und Rechtfertigung

Ich werde mich in diesem Beitrag erschöpfend mit der Urbarmachung einer Erinnerung oder Vorstellung bis zu ihrer Berücksichtigung auseinandersetzen.

Reminiszieren und Phantasieren sei zusammenfassend auch als Vergegenwärtigen bezeichnet. Die Vergegenwärtigung ist dabei das Ziel der Rechtfertigung und die Rechtfertigung die Weise der Vergegenwärtigung, das heißt, die Frage danach,
  • was ich getan habe, rechtfertigt das eigene Handeln durch das mitverantwortete* Geschehen,
  • was ich tun soll, rechtfertigt das Ziel der eigenen Handlung durch die eigene Abhängigkeit und
  • wie ich's tun soll, rechtfertigt die Weise der eigenen Handlung durch die Gültigkeit,
und indem die Antworten auf diese Fragen vergegenwärtigt werden, werden wir in die Lage versetzt, Entwicklungsmuster, Haltungen und Vorhaben zu formulieren, auf welche Weise wir unsere Erinnerungen und Vorstellungen berücksichtigen, wenn uns unsere Abhängigkeit von ihnen bewußt wird.

Es gibt nach dem vorigen Beitrag drei Weisen der Abhängigkeitsberücksichtigung, welche aber unbenannt blieben, wem ich hiermit abhelfe,
  • das Vergegenwärtigen berücksichtigt Erinnerungen, Vorstellungen und unter Umständen auch isolierte Augenblicke (und wird selbst von der Bildung berücksichtigt),
  • das Lavieren berücksichtigt isolierte Augenblicke tätig und
  • das Verfahren berücksichtigt fortwährende Entschlüsse,
wobei das Stutzigwerden über die eigene Abhängigkeit im letzteren Fall die Formen der aktiven Interessiertheit und passiven Alarmiertheit annimmt und
  • das aktive Verfahren im Einbringen** des Interessanten besteht und
  • das passive Verfahren im Gegensteuern gegen das Alarmierende,
und also läßt sich auch das Nutzbarmachen in Vergegenwärtigen von Vorstellungen im allgemeinen Sinn, Lavieren in isolierten Augenblicken und aktives Einbringen in fortwährende Entschlüsse und passives Gegensteuern während fortwährender Entschlüsse unterteilen. Ich meinte, daß das Nutzbarmachen von einer gegebenen Lage ausginge und das Entfalten sie erst herstelle. Normalerweise handelt es sich beim Nutzbarmachen auch um ein solches Verfahren, aber es ist nicht ratsam, es formal darauf zu beschränken, wohingegen das Entfalten immer auf einem spezifischen fortwährenden Entschluß beruht.

* technisch gesehen Vektoren, deren Indizes Ereignisse und deren Werte verantwortet und unverantwortet, sind mit anderen Worten die Antwort auf die Fragen Was ist geschehen? und Was davon habe ich getan?, wenn man es genau nimmt.

** wer sich in einen Staat einbringt, betrachtet sich zwar als interessante Ergänzung, aber die beiden Verwendungen des Begriffs sollten als unabhängig von einander betrachtet werden.

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1. Dezember 2022

Zur Aufmerksamkeitsabhängigkeit der Abhängigkeiten

Verschiedene Aufmerksamkeiten führen zu verschiedenen Abhängigkeiten, und die folgende Unterscheidung von Aufmerksamkeiten scheint mir nützlich: die Aufmerksamkeit
  • auf den Traum erzeugt keine wahrgenommenen Abhängigkeiten,
  • auf die Vorstellung erweckt Abhängigkeiten von der Urbarmachung der Vorstellung bis zu ihrer Berücksichtigung, etwa beim Reminiszieren und Phantasieren am Abend, um die dadurch gewonnenen Vorstellungen am nächsten Morgen berücksichtigen zu können,
  • auf den isolierten Augenblick kann zweierlei Abhängigkeiten erwecken,
    1. jene von der Urbarmachung mit ihm verbundener Vorstellungen bis zu deren Berücksichtigung, in welchem Fall er uns unwirklich scheint, und
    2. jene von an ihn anknüpfenden Aktivitäten, in welchem Fall wir uns unentschlossen fühlen, und
  • auf einen Augenblick eines fortwährenden Entschlusses und die mit ihm zusammenhängenden Begriffe erweckt die Abhängigkeiten des Entschlusses, etwa, wenn wir den einfachsten Fall betrachten, ein sich bewegendes Objekt im Auge zu behalten, was unsere Aufmerksamkeit zugleich auf seine Entfernung (Verhältnis: Begriff von mehr als einem Gegenstand) richtet, die Abhängigkeit von etwaigen Hindernissen, welche die Sicht verstellen, welche desto akuter empfunden wird, je näher das Objekt dem uneinsehbaren Bereich kommt.
Haltungen sind fortwährende Entschlüsse, sich an sie zu halten, und auch Vorhaben sind fortwährende Entschlüsse, nämlich sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erledigt zu haben. Aber sowohl bei Haltungen als auch bei Vorhaben gibt es auch Ruhephasen, in welchen sie keine Anwendung finden. Und so stehen wir manchmal unentschlossen oder unwirklich, reminiszierend oder phantasierend da.

Übrigens, der Weg von Aubade zu Hide in Your Shell hier; was für ein Triumph der Urbarmachung!

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