Der
vorige Beitrag warf die Frage nach gewissen Gattungen der Musik auf, welche schnurstracks zu den
Gefühlen der sieben Feuer des Gerichts zurückführt, weshalb ich letztere noch einmal systematisch betrachten möchte.
Die
Bestürztheiten bestehen in fortgesetzten Schwierigkeiten des Durchschreitens der drei Zeiten, des Entfaltens der linearen Zeit, des Ausleuchtens der netzförmigen und des Verpflanzens der punktförmigen, und wir registrieren diese Schwierigkeiten auf zwei verschiedene Weisen, nämlich
-
indem wir uns vergegenwärtigen, in wiefern wir das Adäquate befolgt haben, das Aufrufende beachtet, das Bedeutsame berücksichtigt und das Zuversichtspendende ergriffen, und
- indem wir uns den Erfolg unseres Entfaltens, Ausleuchtens und Verpflanzens vergegenwärtigen.
Ergebenheit ist die Stimmung, welche mit der Haltung, das Bedeutsame zu berücksichtigen, einhergeht,
Achtung jene, welche mit der Haltung, das Aufrufende zu beachten, einhergeht, und
Verwurzeltheit jene, welche die Haltung, das Zuversichtspendende zu ergreifen, begleitet.
Genugtuung, Freude und Stolz sind die auf die punktförmige, beziehungsweise lineare oder netzförmige Zeit bezogenen Unterarten des Stolzes im weiteren Sinne, in sofern uns die Vergegenwärtigung einer Verpflanzung mit Genugtuung oder
Wurmung, einer Entfaltung mit Freude oder
Eingeschnapptheit und einer Ausleuchtung mit Stolz oder
Schmach erfüllt.
Und dies läßt sich auch auf unsere Befolgung des Adäquaten anwenden, mit anderen Worten handelt es sich bei der
Schuld um die Schmach, das Bedeutsame nicht berücksichtigt, beim
Unwert um die Eingeschnapptheit, das Aufrufende nicht beachtet, und bei der
Verstoßenheit um die Wurmung, das Zuversichtspendende nicht ergriffen zu haben.
Ist der Schaden irreparabel, steigert sich die Schuld zu
Reue, der Unwert zur
Schicksalsmahnung und die Verstoßenheit zur
Lebenstrauer, was uns mittelbar dazu bewegt, Ersatz stiften zu wollen.
Beim
Erschaudern handelt es sich hingegen um adäquanzbasierten Stolz angesichts bloß vorgestellter Schuld, und entsprechend beim
Selbstwertgefühl um adäquanzbasierte Freude angesichts bloß vorgestellten Unwerts und bei der
Statusangst um adäquanzbasierte Genugtuung angesichts bloß vorgestellter Verstoßenheit, und indem sie eine Grenze zwischen uns und dem Vorgestellten ziehen, halten sie uns vom Inadäquaten ab.
Haben wir reparablen Schaden angerichtet, so nehmen wir eine vorsichtigere Haltung ein, welche sich im Falle der Schuld in der Stimmung,
geduldet zu sein, ausdrückt, im Falle des Unwerts in
ermatteter (weniger hochfahrender) Stimmung, und im Falle der Verstoßenheit in
erstärkter (wettmachender) Stimmung.
Ist der Schaden hingegen irreparabel, so wird uns unsere Haltung unerträglich und unsere Stimmung verfinstert sich zu
Verworfenheit im Falle der Reue,
Albdruck im Falle der Schicksalsmahnung und
Schwäche im Falle der Lebenstrauer, was uns wie gesagt dazu antreibt, Ersatz zu stiften, und dies tun wir im Falle der Reue durch
Buße, der Schicksalsmahnung durch
Gehorsam und der Lebenstrauer durch
Selbständigkeit.
Erfolg bei der Verpflanzung ändert unsere Haltung derart, daß unsere Stimmung
zärtlich wird, bei der Entfaltung derart, daß unsere Stimmung
fröhlich wird, und bei der Ausleuchtung derart, daß sie
behaglich wird, und entsprechend führt Mißerfolg zu einer Haltung, welche im Falle der Verpflanzung von einer
trotzigen, im Falle der Entfaltung von einer
albernen und im Falle der Ausleuchtung von einer
gekränkten Stimmung begleitet wird.
Stellen sich hingegen Durststrecken ein, auf welchen wir nicht verpflanzen, entfalten oder ausleuchten, so meldet sich unsere Stimmung
ohnmächtig (ich habe
hilflos jüngst mehr im Sinne von ausbleibender gewohnter Hilfe verwendet), beziehungsweise
niedergedrückt oder
gelangweilt.
Und dies führt wie im Falle des irreparablen Schadens zu einer Haltungsänderung, derart daß Ohnmacht in
Ehrfurcht, Niedergedrücktheit in
Verzweiflung und Langeweile in
Erhabenheit übergeht, indem wir uns
unterwerfen, beziehungsweise
ausliefern oder
entheben, und durch diese Radikalisierung überwinden wir die Durststrecke.
Da wir das nun haben, können wir die folgenden musikalischen Gattungen definieren:
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Adäquanzleiden: Gegenüberstellung der Befolgung und der reparablen und irreparablen Schäden,
- Ergehen: Gegenüberstellung des Erfolgs und Mißerfolgs,
- Zeitleiden: Darstellung von Durststrecken,
- Überwindung: Darstellung der Radikalisierungen,
jeweils für Entfaltung, Ausleuchtung und Verpflanzung, so daß wir auf insgesamt zwälf Gattungen kommen.
Beispiele.
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Ludwig van Beethoven ist ein Überwindungskomponist, die Eroica kreist um Erhabenheit und Enthebung (des Gesellschaftschirurgen auf dem Schlachtfeld), die Fünfte um Verzweiflung und Auslieferung (des Einzelnen) und die Neunte um Ehrfurcht und Unterwerfung (unter die demokratische Gesellschaft), aber er hat auch betretenes Ergehen vertont, in der 8. Klaviersonate, und beklommenes Adäquanzleiden, in der Missa Solemnis.
- Richard Wagner ist hingegen ein Adäquanzleidenkomponist, aber nicht des beklommenen, sondern des betretenen, in Rienzi, Lohengrin und Tristan und Isolde, welche sich allesamt um Verwurzelt- und Verstoßenheit drehen, und des besessenen, im fliegenden Holländer, Tannhäuser und Parsifal, welche sich allesamt um Achtung, Schicksalsmahnung, Albdruck und Gehorsam drehen, aber auch er hat im Ring des Nibelungen betretenes Ergehen vertont, Zärtlich- und Trotzigkeit.
- Crime of the Century ist wie gesagt eine Vertonung des Zeitleidens, und zwar des besessenen, und mein Walzer für W.F. ist es auch.
Alle diese Gattungen beschreiben das Durchschreiten der Zeiten und bezeugen einen lebendigen Geist, aber nur die Zeitleiden und die Überwindungen zeugen vom Atem der Geschichte. Ekstatische Musik ist bisweilen reduzierte Ergehensmusik, wann aber keine reale Person übrig bleibt, und theoretisch kann sie selbstverständlich von überall her Anleihen nehmen.
Nun, jedenfalls wäre damit die
zeugende Musik, um ihr hiermit einen Namen zu geben, definiert, und während Adäquanzleiden und Ergehen persönlich sind, sind Zeitleiden und Überwindungen geschichtlich. Natürlich kann man die zeugende Musik insgesamt in den Wind schlagen, aber so lange man sie hat, hat man auch einen Begriff des Lebens, und wenn man sie nicht hat, fehlt er oftmals auch.
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