Vom gedanklichen Wandel
Die den drei Zeitformen zugehörigen Weltformen sind
- die netzförmige Welt, bestehend aus Einsichten,
- die lineare Welt, bestehend aus dem Wandel, und
- die punktförmige Welt, bestehend aus Eindrücken.
Eindrücke der Gegenwart werden bei der Auslösung angestrebt, etwa die Angespanntheit eines Muskels. Eindrücke der Gegenwart, welche wir für gewöhnlich nur wahrnehmen, wenn wir sie anstreben, heißen Eindrücke des Wandels. Wie ein Muskelkrampf beweist, können wir bisweilen aber auch Eindrücke des Wandels wahrnehmen, ohne sie angestrebt zu haben. Und umgekehrt können wir selbst Eindrücke der visuellen Gegenwart anstreben, etwa indem wir uns einen Kreis vorstellen, welchen wir als runden Schatten auf der Wand wahrnehmen, mehr allerdings nicht, im Dunklen auch als hellere Form.
Viele indische Meditationsübungen beruhen darauf, daß wir Eindrücke der Gegenwart anstreben, welche keine Eindrücke des Wandels sind. Dies ist eine effektive Methode, um die Begrenztheit des eigenen gedanklichen Wandels, von der noch die Rede sein wird, aufzusprengen.
Begriffe sind bei der Verfolgung und der Einlösung involviert. In beiden Fällen Vervollständigen wir die Beziehung zwischen Begriff und ihm entsprechenden Gegenstand: Bei der Verfolgung gehen wir vom Gegenstand aus und streben danach, ihn durch einen Begriff abzudecken, und bei der Einlösung gehen wir vom Begriff aus und streben danach, ihn durch einen Gegenstand darzustellen. Wenn statt der Verfolgung und Einlösung ein Erwachen und Ausmalen vorliegt, so richtet sich das Streben darauf, einen Gegenstand in einen umfassenderen Gegenstand einzuordnen.
Zu den Weltformen wiederum gehören Formen des in der Welt Seins, nämlich
- die Bedingtheit durch die bemerkten Einsichten,
- die Abhängigkeit vom erfahrenen Wandel und
- die Eingesetztheit in die erinnerten Eindrücke,
- neue Wahrnehmungen ergeben sich stets daraus, daß wir an ihr Zustandekommen glauben, eine punktförmige Welt geht dadurch in eine andere über, daß wir die zweite erwarten,
- was uns also besinnt, was den gedanklichen Wandel hervorbringt, ist unser Geist, und
- die Eindrücke, welche den Wandel definieren, und auch die Eindrücke, welche ihn begreifen, wobei es vom Grad der Reflexion abhängt, ob wir durch einen Begriff begreifen oder er als Eindruck seiner Gegenwart begriffen wird, sind mit den elektrischen Zuständen unserer Nerven verbunden.
Wenn nun ein Kind geboren wird, so hat es bis dahin wenig bemerkt, erfahren und zu erinnern, wenngleich nicht nichts, so doch nichts praktisch hinreichendes, und was sich alsbald in ihm bemerkbar macht, ist ein Glaube daran, eine Erwartung dessen, wie sein Geist funktioniert, welchen Zweck er erfüllt und daß er ihn erfüllt. Und auch wir, in späteren Jahren, haben weiterhin diesen Glauben und müssen ihn nur in Form von Besinnungen explizieren, um zu diesen Besinnungen fähig zu werden und um sie fortan mit konkret erfahrenen Wandeln in Verbindung zu bringen.
Daß es einen Geist gibt, welcher über die regelgerechte Beschäftigung mit den Eindrücken der Gegenwart hinausgeht, also einer Beschäftigung, welche sich auf das als objektiv gegenwärtig Anerkannte beschränkt, ist ein unverbrüchlicher Glaube meines Herzens. Daraus entspringt die Besinnung zum Gebet, aus ihr die Erfahrung des Betens, und auf diese Weise nimmt Gott Gestalt an, und je mehr wir erfahren, an desto mehr entzündet sich wiederum unser Glaube, und es liegt einzig an uns, unseren Wandel unserem Glauben anzupassen, und wenn wir es tun, erleben wir Gott zunehmend.
Es ist wichtig, sich auf diesem Weg an das bisher Erreichte zu halten und nicht alles auf einmal zu wollen: sich die eigene Bedingtheit durch das Eingesehene vorzuhalten beruhigt das Herz, und zu einem Wandel zurückzukehren, an welchen man glaubt, gibt ihm Kraft, sogar die bloße Erinnerung an Eindrücke kann unter Umständen Zweifel ausräumen und ihm Entschlossenheit geben.
Leider trauen die Ungläubigen dem Glauben nicht und verteufeln ihn eher, wenn er sich bemerkbar macht, als auf ihn zu hoffen. Und nachdem sie ihn verteufelt haben, beginnen sie natürlich sogleich damit zu versuchen, ihn zu manipulieren und in eine bestimmte Richtung zu lenken, etwa indem sie meinen, daß, wenn jemand nur genügend Schreckliches erfahren würde, er dann schon seinen Glauben verlöre. Nun, mein Leben ist eine lange Geschichte von Schrecklichem, aber das führt nur dazu, daß ich auch weiterhin viel Schreckliches erwarte, da bin ich durchaus neutral, nur weil etwas schrecklich ist, mag es nicht weniger existieren als etwas herrliches, nur daß das Schreckliche entweder aus Gottesferne erwächst oder ein Mittel ist, sie zu überwinden, und das Herrliche der unvergängliche Kern der Existenz, welcher ihre Entfaltung allzeit bestimmt.
Andererseits, wenn die Ungläubigen auf den Glauben Anderer hofften, so brächten sie diese in eine unmögliche Lage, weil sie ihnen doch nicht geben könnten, was jeder in seinem Herzen entscheidet, nämlich welchen Geist er kultiviert. Und so ergreifen die Ungläubigen das Schreckliche, bis sie des sie überwindenden Schrecklichen würdig geworden sind, was nicht heißt, daß nicht auch Gläubige auf Abwege geraten könnten und Schreckliches ergreifen, doch wenn sich jemand nicht bemüht herauszufinden, an was er glaubt, wie könnte er da je mit sich, wie je mit der Welt im Reinen sein? Die ganze Schöpfung muß ihm zwangsläufig unheimlich erscheinen.
Labels: 34, formalisierung, gesetze, institutionen, metaphysik, psychologie, sehhilfen, wahrnehmungen, ἰδέα, φιλοσοφία