Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

10. März 2020

Aristoteles und Platon

Zwar hält Platon, wie ich im vorigen Beitrag ausführte, nicht viel von Freiwilligkeit, sondern sucht jeden in das Korsett des öffentlichen Ansehens zu zwingen, unter ständiger Beobachtung der Tugendhaftesten, doch wendet er sich immerhin an Menschen, welche ihr Leben leben, und nicht wie Aristoteles an Menschen, welche die Gestaltung des Lebens Anderer als ihr Spiel, welches sie Beruf nennen, ansehen.

Die Tugendhaftesten bei Platon sind tatsächlich die Tugendhaftesten, welche ihre Tugend durch ihren Lebenswandel bewiesen haben, und nicht jene, welche am besten von der Tugend zu reden wissen. Tugendterror kann es bei Platon nicht geben, nur Tugendlast.

Aber die Angelegenheit ist von grundsätzlicherer Bedeutung: Jeder ist seines eigenen Lebens Herr, und es bedarf viel guten Zuredens, um ihn dazu zu bringen, einem gut gemeinten Rat zu folgen. Befindet sich jemand hingegen in der Lage, die Leben Anderer lenken zu können, so mag er einem Rat schon deshalb folgen, weil er neugierig auf sein Resultat ist.

Schon zu seiner Zeit fand Aristoteles Mächtige, welche daran glaubten, daß sich die Leistungsfähigkeit ihrer Herde steigern ließe, und heute gefällt sich auch noch der kleinste Bürger in der Vorstellung, an einem großartigen Experiment teilzunehmen, das heißt er unterstellt seine Natur der Vorstellung des durch seinen Dienst ermöglichten Waltens.

Wenn es so weit gekommen ist, dann wird Aristoteles' Rede alle überzeugen und Platons Rede mit ihr zusammenfallen. Doch gedeihen wir daran? Tut es uns gut, uns zu Werkzeugen von Entwürfen zu machen und unser eigenes Rechtsempfinden hintanzustellen?

Und wie verhält es sich mit der Kirche?, denn auch da begegnet uns das Nämliche, daß Gläubige eine Methode mehr ihrer Auswirkung wegen schätzen als sie das Gut, welches dieselbe Auswirkung natürlicherweise hervorbringt, lieben, daß die Gerechtigkeit der Gestaltungsfreude weicht, und auch hier steht Aristoteles Pate, denn in welchem Sinne ist Thomas von Aquin ein Kirchenlehrer? Was und wen lehrt er? Er lehrt Meinungsschmiede Meinungen so schmieden, daß keine Widersprüche entstehen, und tut es nicht durch Einsicht in die Wahrheit, sondern durch Versöhnung widerstreitender Überzeugungen, was zweifellos ein Merkmal der Wahrheit ist, doch umgekehrt sind solche Versöhnungen noch lange nicht wahr, und der einzig mögliche Grund, warum Thomas von Aquin keinen Anstoß daran nahm, es dabei zu belassen, ist der, daß er es als das Geschäft der Kirche ansah, widerstreitende Überzeugungen mit einander zu versöhnen, und nicht mehr.

Sind derartige Errungenschaften es wert, darüber die Anfänge unseres Lebens zu vergessen?

Wann immer ich mir vorstelle, zu anderen von meinen Ansichten zu sprechen, ertappe ich mich dabei, eine aristotelessche Zuhörerschaft anzunehmen. Bleibe ich dann dem platonischen Ansatz treu, scheint es mir bald, mein Vortrag sei witzlos. Schwenke ich hingegen zum aristotelesschen über, ekle ich mich bald vor mir selbst. Die Beiträge hier auf diesem Blog sind so gesehen gar nicht so schlecht. Hier gilt in deutlicherer Form, was Schopenhauer vom Schreiben sagte, denn wenn der Vortrag ein solcher ist, daß er der generellen aristotelesschen Konditionierung der Zeit widerspricht, so bedarf er ersichtlich der Qualitäten der Schrift, um sein verstreutes Publikum zu finden, ja, ich würde auch Schopenhauers Probleme, sein Publikum zu finden, darauf, und nicht auf die Dummheit der Masse, zurückführen.

Daß Platon vor 170 Jahren sein Publikum fand, erklärt sich daraus, daß er aus aristotelesscher Perspektive im Gegensatz zu Schopenhauer verwertbar schien, und auch Teile dessen, was ich schreibe, lassen sich aus ihr heraus verwerten, doch wünsche ich es mir nicht. Ich wünsche mir vielmehr, daß die Menschen wieder zu den Anfangsgründen des Lebens zurückkehrten und das Publikum zu anderen als den heutigen Gesprächen bildeten.

Labels: , , , , , , , , , , ,