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23. Oktober 2022

Zwangsvorstellung im Film

Schlagen wir den Bogen vom Roman des 19. Jahrhunderts zum Film des 20.

Unter einer Zwangsvorstellung sei stets eine Vorstellung der menschlichen Natur verstanden, welche einen dazu bringt, sich von der eigenen Vernunft, von der eigenen Sorge, vom eigenen Heilsbegriff abzuwenden, doch während der geheimnisvolle Besucher in den Brüdern Karamasow dies bewußt tut, weil ihm seine Achtung mehr gilt als sein Begriff vom Heil, rechtfertigt sich die Zwangsvorstellung im Film des 20. Jahrhunderts stets durch eine angeblich höhere Vernunft, welcher sie dient. Zwar sehen wir selbst heute noch Tendenzen, die eigene Sorge der eigenen Achtung oder Lust wegen in den Wind zu schlagen, doch hält das die stete Zunahme an Konformität nicht auf.

Erörtern wir also kurz die Frage, wodurch sich eine angeblich höhere Vernunft als solche disqualifiziert. Die Vernunft ist sich selbst nicht Feind, sondern hilft sich vielmehr durch die Mitteilung von Einsichten. Eine höhere Vernunft muß sich also positiv auf die Bedeutung von Einsichten auswirken, um sich als solche zu qualifizieren, und das heißt insbesondere, daß sie sich nicht auf Unfaßbares stützt, sondern auf das, was wir alle kennen oder zumindest kennenlernen wollten und können

Der erste Film, welchen ich in diesem Zusammenhang erwähnen möchte, ist Harper aus dem Jahre 1966. Hier wird bereits der Highway als militaristische Zumutung empfunden, als Wunde, welche der Kampf um die militärische Vorherrschaft in seiner Betonung der Effizienz in die privaten Heilsvorstellungen schlägt, als totalitärer Fremdkörper, mit welchem man sich im Ringen mit dem Feind infiziert hat, und Harper selbst erträgt die Zumutung in dem Bewußtsein, daß er, indem er dem Maßstab gerecht wird, die moderne Welt meistert, lebt, doch er tut es, ohne sich in sie einzufinden, als Randständiger, und alle Figuren in diesem Film legen Zeugnis wider sie ab.

In Harper, also, ist die Zwangsvorstellung konkret gegenwärtig und als solche allen zuwider. In Logan's Run, zehn Jahre später, ist daraus eine ins Philosophische gewendete Polemik geworden, als offensichtlicher Ausdruck einer Generation, welche sich auf diese Weise von der nämlichen Zwangsvorstellung emanzipiert, aber wirklich nur für eine kurze Zeit.

Zwar schlägt auch Poltergeist aus dem Jahre 1982 noch in dieselbe Kerbe, Entweihung von Friedhöfen der Gier wegen und so, aber schon 1981 trat in Thief ein neuer Typus auf die Bühne, welcher nicht mehr trotz oder gerade wegen seiner Randständigkeit lebt, sondern in fetischistischem Anvertrauen, und 1983 ist mit Never Say Never Again sozusagen die Bibel der erneuerten Zwangsvorstellung erschienen:
  • schon das Eingangslied ist im Ton räudigen Durchschlagens von Tag zu Tag gesungen,
  • dann entpuppen sich private Heilsvorstellungen als das Produkt von Gehirnwäsche, auch eine der pathologisierenden Unfaßbarkeiten der Psychiatrie,
  • als nächstes tritt die Bürokratie in ihrem unanfechtbaren Hoheitsanspruch auf,
  • dann darf Fatima Blush noch etwas sadomasochistisch pathologisierend nachwürzen,
  • bevor uns Herr Brandauer mit dem Gedanken vertraut macht, daß es einen Markt für Leben gibt.
So wäre die Welt samt den Menschen, und es vernünftiger, sich das einzugestehen. Aber schärft diese Brille unseren Blick oder verschwimmt das Leben hinter ihr? Wenigstens hinsichtlich der Frage, ob Regierungen an die Meinung ihrer Bürger gebunden sind, letzteres, und das ist der wesentliche Punkt bei der internationalen Verständigung, welche also unter anderem durch diese Brille sabotiert wird, was die fortgesetzten  Unvernünftigkeiten pars pro toto erklärt, wobei es einstweilen die vom Militär der Vereinigten Sraaten gestützte Korporatokratie ist, welche sich aus ihnen speist.

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