Bereitschaftsbeitrag

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6. Juli 2024

Zum Versagen der kulturellen Herrschaften

Repräsentationskulturen legitimieren sich durch Expertise und Willenskulturen durch den Willen der Regierten, indem diesen erklärtermaßen die Autorität über ihre eigenen Belange verliehen wird, und wenn sich die Expertise als mangelhaft herausstellt oder die Ausfüllung der Autorität von den Interessen der Regierten abweicht, üblicherweise aufgrund unzufriedenstellender Arbeitsprozesse, führt das zu Regierungskritik und möglicherweise Revolutionen, wie etwa 1789 infolge Frankreichs überseeischen Versagens oder 1989 infolge des wirtschaftlichen der DDR.

Bei Erlebniskulturen liegen die Dinge indessen anders, da sie sich nicht über das Gemein-, sondern über das persönliche Wohl legitimieren; ich streifte den Gegenstand bereits vor 9 Jahren. Um hier weiter zu kommen, müssen wir etwas Soziologie betreiben.

Unter einem Milieu verstehe ich eine Gruppe von Menschen, welche ihre gegenseitige Abhängigkeit suchen, entweder, um von anderen Abhängigkeiten frei zu werden, dann ist es ein tragendes Milieu, oder um sich wenigstens in sonstigen Abhängigkeiten zu helfen, wann es ein Stützmilieu ist. Natürlich ist auch ein tragendes Milieu, etwa ein Staat, von anderen Staaten abhängig, wenigstens potentiell hinsichtlich etwaiger zukünftiger militärischer Bedrohungen, aber das einzelne Gruppenmitglied spürt diese Abhängigkeit im Falle eines tragenden Milieus nicht.

Unter Abgefeimtheit verstehe ich einen rücksichtslosen Egoismus. Stützmilieus forcieren Abgefeimtheit unter ihren Mitgliedern anderen Milieus gegenüber, und tragende Milieus fördern eine Überzeugtheit von ihrem kulturellen Wert unter ihren Mitgliedern, welche indes unterschiedliche Formen annehmen kann und das revolutionäre Verhalten beim Versagen von Erlebniskulturen bestimmt.

Zunächst einmal bilden die Oligarchen, welche eine Erlebniskultur regieren, selbst ein Milieu, welches aufgrund seines Herrschaftswillens anderen Milieus gegenüber abgefeimt ist (Oliver Stone läßt in Scarface Al Pacino im Whirlpool vor dem Fernseher über die Wesensähnlichkeit von Bänkern und Drogenbossen sinnieren). Die Form der Überzeugtheit dieses Milieus tut indes nichts zur Sache, lediglich die Formen jener der übrigen Milieus, welche mit ihm zurechtkommen müssen, und da gibt es im wesentlichen drei Verhältnisse:
  • Überzeugtheit von der Abgefeimtheit des regierenden Milieus, welche zur Abschottung ihm gegenüber führt,
  • Überzeugtheit von seiner Verkommenheit, welche unter Druck zu seiner wütenden Verfolgung führt, und
  • Überzeugtheit von seiner Verächtlichkeit, welche eine stete aufdringliche Abpressung ihm gegenüber begleitet.
Als verkommen wird das regierende Milieu nur dann gelten, wenn eine Erlebniskultur noch keine Wurzeln geschlagen hat und es ältere und als höherwertig anerkannte Ordnungsvorstellungen gibt, wie etwa in England 1832, als das Oberhaus lieber den Zugang zur parlamentarischen Mitbestimmung ausweitete als von einer Allianz aus Katholiken und Bürgerlichen unter's Schafott verbracht zu werden, oder auch in Deutschland 1933, wiewohl die Weimarer Republik nicht wirklich als Erlebniskultur bezeichnet werden kann, sondern nur als chaotisch.

In Amerika gibt es solche Ordnungsvorstellungen hingegen nicht, vielleicht bei manchem Neueingewanderten aus Lateinamerika, aber in der amerikanischen Stammbevölkerung nicht. Ich möchte der Anschaulichkeit halber hier einmal ausführen, welche Gestalt sie annähmen, und ich kann auch gleich ihre Abweisung durch die Stammbevölkerung dazusetzen (Rolle der CEOs, Sportlichkeit, Wettbewerb). Also, here goes: Die Großinvestoren sprechen sich darüber ab, welche Technologie sie als nächstes etablieren wollen, und benutzen die Kleininvestoren nur dazu, ihnen die wertlosen Aktien abzukaufen, wenn sie ihre Beteiligung an einer veralteten abstoßen wollen. Dabei verstecken sie sich hinter Mittelsmännern, um ihre Beteiligung zu verschleiern. Eine anständige Gesellschaft würde sie dafür wegen Betrugs einsperren, aber die Vereinigten Staaten brüsten sich damit, Ratten das beste Betätigungsumfeld zu bieten, und jede Ratte, gleich wie klein, läuft ihrem Flötenspiel hinterher.

So wird die Sache von den Amerikanern indes nicht gesehen - und auch nicht gesehen werden. Außerdem löste eine derartige reaktionäre Entrüstung auch nicht das wesentliche Problem unserer Zeit, denn Wissen, Zugang und Macht konzentrieren sich unabhängig von der Regierungsform (wenn auch nicht zwangsläufig gleich schnell, aber wir haben den Rubikon bereits seit 1529 überschritten). Beschäftigen wir uns also schlicht damit, wie es in Amerika weitergehen wird.

Die Zugangskonzentration zwingt tragende Milieus dazu, entweder als ganze abgefeimter zu werden oder zu Stützmilieus abzusinken, der Weis' ihre Mitglieder einzeln abgefeimter werden. Die Milieus, von welchen wir in den Vereinigten Staaten günstigstenfalls sprechen, sind sich abschottende Milieus, und als ganze abgefeimter werden sie dadurch, daß sie aufdringlich werden und Außenstehende auspressen, und da sie das moralisch vor sich rechtfertigen müssen, machen sie Außenstehende verächtlich, geben sie also zum Abschuß frei, machen sie zur sanktionierten Beute. Zugleich verfügt die Erlebniskultur über immer mehr abgefeimte Rekruten, welche ihren Vorgaben ohne Skrupel folgen. Zu einer Regierungskritik kommt es bei alledem nicht, stattdessen löst sich das System auf, welches die passive Duldung durch die sich Abschottenden zusammenhielt.

Nun ja, im Rahmen der hiesigen Theorie würde es so weitergehen. Tatsächlich kann das Militär die Dinge nicht so laufen lassen.

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