Die Frage der Sittlichkeit in den drei Zeitaltern
Das Prinzip der Sittlichkeit besteht darin, es ihnen zu überlassen, und es nicht zu tun heißt, die Sittlichkeit der Gesellschaft abzulehnen. Ob die Sittlichkeit der Gesellschaft abgelehnt wird, hängt dabei vom Zeitalter ab, aber diese Abhängigkeit läßt sich auch weniger theorielastig als Gesellschaftsingenieursmäßigkeit deuten.
Für das Prinzip der Sittlichkeit spricht das Gesetz, daß Menschen sich schließlich für jene Verfassung entscheiden, welche ihnen am besten bekommt, wobei wie gut eine Verfassung den Menschen bekommt, welche ihrgemäß verfaßt sind, das Maß einer jeden Verfassung ist.
Wenn wir also Zeit haben, spricht nichts dagegen, die Sittlichkeit einer Gesellschaft zu akzeptieren. Es gibt aber zwei Formen von Ungeduld mit den Menschen, welche es nicht tun. Und es gibt eine Form der Verweigerung der sittlichen Selbstbestimmung. Ich habe diese drei Formen vor gut 16 Jahren unter der Rubrik Kulturelle Überforderung behandelt, wobei die Kultur in der auf freiwilliger Annahme basierenden Entwicklung der Sitten besteht:
- die sich der kulturellen Selbstbestimmung verweigernde unmündige Meute,
- die Sittlichkeit der Gesellschaft ablehnende Verwaltung und
- die ihre eigene noch unentschiedene Sittlichkeit ablehnende Gesellschaft.
Die feine Art ist das natürlich nicht, nicht sollte man ihr drohen, sondern sie vielmehr ermuntern, ihre Sitten zu entwickeln. Beispielsweise sagt Annika in Pippi Langstrumpf und die Gespenster: Geht nur allein. Ich bleib' hier,. worauf Tommy mit teuflischer Schläue erwidert: Aber Annika, stell' dir mal vor, so'n Gespenst kommt 'runter, und es ist ganz allein hier.
Diese Worte allein machen nicht klar, was Tommy denkt, Tommy könnte Annikas Sittlichkeit ablehnen und sich denken, daß die blöde Gans diesen Mist gewiß glauben wird, aber das tut er selbstverständlich nicht, sondern er akzeptiert Annikas Sittlichkeit und gibt ihr lediglich eine logische Hilfestellung, sich die ideale Verfassung der Dinge, wie sie ihr vorschwebt, besser zu überlegen (ist bei Annalena leider ausgeblieben).
Was Tommy da also tut ist, Annika einen unverbindlichen sittlichen Vorschlag zu machen, um ihr auf diese Weise zu erlauben, ihre eigenen Sitten zu bestimmen, und das ist die erste von zwei Weisen, dies zu erreichen. Die zweite besteht in einem verbindlichen Vorschlag.
Doch bevor ich dies genauer erörtere, möchte ich kurz einen Ausspruch Jesu deuten, nämlich Johannes 9:39:
Ich bin zum Gericht auf diese Welt gekommen, auf daß, die da nicht sehen, sehend werden, und die da sehen, blind werden.Dies ist eine Kampfansage an jene, welche die Sittlichkeit der Menschen ablehnen, weil sie sich selbst für sehend, sie aber für blind halten. Die Nichtsehenden wird ihre Sittlichkeit ihre Verfassung weiter entwickeln lassen, und die einst sahen, werden ihnen nichts mehr zu entgegnen haben. Wagner paraphrasiert in der Frage also Jesus Christus.
Um diese Kampfansage, welche letztlich nur eine Prophezeiung einer unausweichlichen Entwicklungsnotwendigkeit ist, besser verstehen zu können, müssen wir das Verhältnis von Schwarm und Art in den drei Zeitaltern betrachten: im Zeitalter der
- Werke entwickelt die Art in der Lehre ureigene Verfassungsvorstellungen (Betrachtungen), welche sie dem unmündigen Schwarm bei der Unterstützung unverbindlich vorschlägt, welcher also im Laufe der Jahrhunderte sittlich reift,
- Wunder entwickelt die Art bei der Bildung politische Verfassungsvorstellungen, welche sie dem mündigen Schwarm in der Teilhabe zur verbindlichen Annahme vorlegt, und
- Wacht hält die Art bei der Anerkennung an Verfassungsvorstellungen fest, welche die Sittlichkeit des Schwarms in der Partnerschaft ablehnen.
Es dürfte recht klar sein, wie die Dinge in unserem Zeitalter laufen, die Rolle der Literatur, der öffentlichen Diskussion, der Suche nach der Verfassung des Reichs Gottes.
Und was das Zeitalter der Wunder angeht, da möchte ich wieder einmal auf Der Smaragdwald zu sprechen kommen. Der alte Häuptling sagt da, daß, wenn er einem seiner Krieger einen Befehl geben würde, welchen dieser nicht ausführen wollte, er nicht mehr länger Häuptling wäre. Von der Art sind die verbindlichen sittlichen Vorschläge der Art an den Schwarm, das heißt es handelt sich um Ausarbeitungen auf der Grundlage der Interessen des Schwarms, und der Schwarm entscheidet darüber, ob er die entsprechende Verfassung annimmt und sich fortan ihrgemäß verhält.
Im übrigen zeigt sich dieser Unterschied an sittlicher Mündigkeit auch an Kachiris Verhalten Tomme gegenüber: Kachiri hat kein Interesse an Tommes unverbindlich werbenden sittlichen Vorschlägen, er ist ein Mann wie jeder andere, ihre Rolle als Frau ist immer die gleiche, und sie will sie ausfüllen, weshalb Tomme sie gefälligst tatsächlich mit der Keule bewußtlos schlagen möge.
Das, was ich in meinem ersten eigenen Beitrag auf diesem Blog Bereitschaft nenne, ist die Bereitschaft, verbindliche sittliche Vorschläge anzunehmen. Wie gesagt, mein Fokus liegt auf der Ignoranz der Unmündigkeit, oder anders gesprochen auf der Vollendung der christlichen Strecke zur Errichtung des Reichs Gottes, und Johannes 9:39 tritt mit jedem dieser Tage deutlicher hervor, das heißt, wir kommen also tatsächlich an ihr Ende.
Ich finde es etwas seltsam, daß ich einen solchen Beitrag schlicht auf wiederholende und zusammenfassende Weise schreiben kann, und das einzige, was hieran neu ist, meine Betrachtungen zu Tommy und Annika und Der Smaragdwald sind, âber so geht das beschreibende Spiel eben.
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